»Jedes Paradigma hat ein Ende« - eine kritische Analyse des Kapitalismus

Reihe mit 9 Abendveranstaltungen an der Universität Mainz (Philosophicum) in der Zeit vom 28. Oktober bis zum 8. Dezember 2009.

Eine Veranstaltungsreihe der Hochschulgruppe diskursiv der JGU Mainz in Kooperation mit dem ASTA der JUG Mainz, der Jenny Marx Gesellschaft, dem Regionalbüro der Rosa Luxemburg Stiftung in Rheinland Pfalz und der Heinrich Böll Stiftung

Im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise mehren sich die Zweifel am Allmachtscharakter des gegenwärtigen ökonomischen Systems. Der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes wird mehr und mehr zurückgeschraubt, eine latente Kapitalismuskritik erscheint "en vogue" und trotzdem wird die derzeitige Krise nur rein symptomatisch therapiert, anstatt deren Ursachen anzugehen und bestehende Machtverhältnisse, Produktions- und Konsumptionsmuster und antidemokratische Tendenzen öffentlich in Frage zu stellen. Um zu einer fundierten Kapitalismuskritik zu gelangen, wird versucht, sich im Rahmen einer Vortragsreihe der Geschichte und den Mechanismen des kapitalistischen Systems zu nähern und verschiedene Ansätze von KritikerInnen kennen und verstehen zu lernen. Verbunden hiermit sollen Lösungsvorschläge alternativer Konzepte einer gerechten und solidarischen (Welt-)Wirtschaft erörtert und diskutiert werden.
Dabei soll die Notwendigkeit eines Systemwechsels auch anhand alltäglicher Beispiele (Klimawandel, landwirtschaftliche Nutzung/ökologisches Leben, Privatisierung öffentlicher Güter, Bildung, Politik etc.) aufgezeigt und die Verflechtung und Dominanz wirtschaftlicher Logik in unserem Leben hinterfragt werden. Neben der  Information und Kritik sollen die möglichen Alternativen unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert werden  Ein Austausch zwischen AktivistInnen und interessierter Öffentlichkeit soll so initiiert werden.

Das Programm:

Eine Einführung in den Kapitalismus

Mittwoch 28.10.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Eine Einführung in den Kapitalismus

Die erste Veranstaltung in der Reihe ist eine allgemeine Einführung in den Kapitalismus. Zunächst wird in die Funktionsweise und die grundlegenden Entwicklungslinien des Kapitalismus eingeführt. Die Referentin zeigt, wie der Kapitalismus entstanden ist und wie er sich durch Erschließung neuer Märkte, d.h. durch Einbeziehung immer weiterer Lebensbereiche in den Verwertungsprozess, “am Leben” erhält. Erkennbar wird bei dem Vortrag, was ihn von anderen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftsformen unterscheidet und welche Verwerfungen durch ihn hervortreten. Dabei wird nicht nur auf die Theorie des Kapitalismus eingegangen. Vielmehr werden auch seine Fetischismen aufgezeigt, d.h. welche Vorstellungen über ihn hat er selbst generiert. Veranschaulicht wird das alles anhand zahlreicher Beispiele.

Referentin: Dr. Nadja Rakowitz arbeitet derzeit als Geschäftsstellenleiterin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, hat einen Lehrauftrag am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der J. W. Goethe Uni FFM und ist Mitglied in der Redaktion des ›express‹. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Marx-Gesellschaft und hat ihre Dissertation bei Joachim Hirsch und Helmut Reichelt zum Thema ›Einfache Warenproduktion. Ideal und Ideologie‹ geschrieben.

Einführung in Kapitalismuskritik

Mittwoch 04.11.2009, 18.30 Uhr, Raum P208 (Philosophicum) Kapitalismus – Nein danke! Ein kleiner Pfad durch den Dschungel der Kapitalismuskritik

Die Kritik am Kapitalismus ist etwa so alt wie dieser selbst. Entsprechend vielfältig und unterschiedlich fallen die Kritiken am Kapitalismus aus. In der Veranstaltung soll ein kleiner Pfad durch den Dschungel der Kapitalismuskritik gelegt werden. Dabei geht es um die Herausbildung und Entwicklung von Kapitalismuskritik. Wesentliche Ansätze sollen vorgestellt und kritisch beleuchtet werden. Gefragt wird, was die verschiedenen Kritiken unterscheidet und was am Kapitalismus kritisiert wird? Und: Wie hängt die theoretische Kritik mit der praktischen zusammen?

Referent: Thomas Gehrig, Dipl. Soz., Mitglied der Redaktion der Internet-Zeitschrift links-netz (www.links-netz.de), arbeitet im Bereich der politischen Bildung.

Décroissance

Montag 09.11.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Décroissance – Skizze einer Gesellschaft jenseits des Wachstumsgedanken

In seinem Vortrag stellt Dr. Serge Latouche das in Frankreich weit verbreitet Konzept der “Décroissance” vor. Décroissance wird häufig – etwas unglücklich – mit “Wachstumsrücknahme” übersetzt. Mit dem Konzept der décroissance übt Serge Latouche nicht nur Kritik am Wachstumsgedanken sondern `überwindet´ ihn und geht somit deutlich weiter als die in Deutschland weitläufig diskutierten Ansätze der sog. “Solidarischen Ökonomie” und all ihrer Spielarten. Während sich die `Solidarische Ökonomie´ nicht von der `Ökonomie´ emanzipiert und am Konzept des `Wachstums´ in seinen unterschiedlichsten Abwandlungen (`dauerhaftes´, `sanftes´, `endogenes´, `nachhaltiges´ Wachstum) festhält, versucht die décroissance diesen für unsere Gesellschaften heiligen Begriffe des Wachstums zu überwinden. Die décroissance kritisiert nicht nur das Wachstum oder weist nicht nur auf die Grenzen des Wachstums hin, sondern versucht die Möglichkeiten einer Gesellschaft des “Post-Wachstums” bzw. des “Nicht-Wachstums” zu skizzieren. Hierfür unternimmt die décroissance – mit den Worten von Serge Latouche – eine “Dekolonisierung unserer Gedankenwelt”. Serge Latouche zeigt auf eindrückliche Art und Weise, wie sehr unser alltägliches Leben und Denken vom Wachstumsgedanken gesteuert wird. Die décroissance sucht kein `besseres´ oder `anderes´ Wachstum, sie sucht auch keine “Rücknahme des Wachstums”, sondern ein Abschaffen des Wachstums (und der Ökonomie) als zentrales Erklärungs- und Steuerungselement unseres sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und menschlichen Lebens. Eine Gesellschaft der “décroissance” definiert sich nicht mehr über das Wachstum, sondern rückt den Menschen in den Mittelpunkt ihrer selbst. Mit den Worten von Serge Latouche: “le lien remplace le bien” (“die zwischenmenschliche Beziehung ersetzt die Ware/ das Gut”). Erst ein a-ökonomisches Denken, so Serge Latouche, erlaube es, die Probleme, die im alten Denken entstanden sind, zu überwinden. Denn Probleme können nicht in dem Denken gelöst werden, in dem sie entstanden sind.

Referent: Dr. Serge Latouche ist emeritierter Professor der Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Sud XI und Autor zahlreicher Bücher über die “décroissance”.

Krise, Klima, Kapital: Wachstumswahn oder Klimagerechtigkeit?

Mittwoch 11.11.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Krise, Klima, Kapital: Wachstumswahn oder Klimagerechtigkeit?

Dass sowohl der Kapitalismus als auch das Klima in der Krise stecken, ist bekannt. Seit einiger zeit scheint sich aber eine traditionelle Frontstellung zu verändern. War früher ‘die Ökonomie’ der Feind ‘der Umwelt’, sollen die beiden sich nun gegenseitig retten: die Umwelt rettet die Wirtschaft durch grünes Wachstum, die Wirtschaft rettet die Umwelt ebenfalls durch grünes Wachstum. Was aber, wenn es eben das Wirtschaftswachstum ist, dass den Kern des Problems darstellt? Was für Alternativen gibt es? Und natürlich: wie verhalten sich diese Fragen zur Mobilisierung zum Klimagipfel in Kopenhagen…?

Referent: Tadzio Müller lebt in Berlin, wo er, nach Jahren des globalisierungskritischen Gipfelhoppings, in der entstehenden globalen Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv ist (genauer: www.gegenstromberlin.net). Den Klauen der akademischen Lohnarbeit entkommen schreibt er gerade eine Studie über den ‚grünen Kapitalismus‘ für die Rosa-Luxemburg Stiftung.

Was hat Gemüse mit dem Kapital zu tun?

Montag 16.11.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Was hat Gemüse mit dem Kapital zu tun? – oder: Wie unsere Landwirtschaft heute funktio¬niert und was anders sein könnte

In Europa ist die Landwirtschaft schon lange kapitalistisch organisiert, in vielen Ländern treibt Europa diesen Prozess voran – z.B. über Freihandelsverträge. Wer sind die treibenden Kräfte hinter diesem Prozess? Was bedeutet er für unsere Ernährung, für diejenigen, die Landwirtschaft betreiben und für die Umwelt? Und was hat es mit dem Gegenkonzept der “Ernährungssouveränität” auf sich? Die Referentin möchte einen Überblick zu diesen Fragen geben und freut sich auf eine lebhafte Debatte im Anschluss.

Referentin: Pia Eberhardt, arbeitet für die lobbykritische “Corporate Europe Observatory” in Brüssel zu Handelsfragen und war vorher lange aktiv bei Attac zu landwirtschaftlichen und handelspolitischen Themen.

Humboldts Ende? Der Um- und Abbau des Bildungswesens unter neoliberalen Vorzeichen

Freitag 20.11.2009. 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Humboldts Ende? Der Um- und Abbau des Bildungswesens unter neoliberalen Vorzeichen

Die Strukturen der bundesdeutschen Universitäten werden vor dem Hintergrund der Leistungsanforderungen einer postmodernen Wissensgesellschaft zunehmend als überholt begriffen. Vergleichsweise schwach ausgeprägte Hierarchien, das Kollegial- und Anciennitätsprinzip sowie die Freiheit von Forschung und Lehre werden unter Verweis auf den Bologna-Prozess ebenso neu strukturiert wie Studiengänge und Finanzierungsmodelle. Auf der politischen Agenda steht – neben durchaus lobenswerten Reformmaßnahmen – vor allem die “Verschlankung” der Hochschule, was neben der Universitätsverwaltung vor allem vermeintlich exotische Fachrichtungen betrifft. Durch Studiengebühren werden nicht bloß die Haushaltsbudgets der “Gebührenzahler/innen” belastet und viele junge Menschen, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, von der Aufnahme eines Hochschulstudiums abgehalten, sondern Studierende zu “Kunden” gemacht, die eine Konsummentalität ausbilden (sollen) und ihr “Humankapital” verwerten (wollen).

Referent: Tim Engartner, Dr. phil., Jg. 1976, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Bonn, Oxford und Köln. Seit Abschluss seiner Promotion über die Privatisierung des deutschen und britischen Bahnwesens arbeitet er an der Universität zu Köln im Bereich der politischen und ökonomischen Bildung.

Globalisierung und Krieg: Zwei Seiten derselben Medaille?

Mittwoch 25.11.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Globalisierung und Krieg: Zwei Seiten derselben Medaille?

Findet heutzutage ein Bürgerkrieg in der so genannten Dritten Welt statt, so liest man zumeist über ein ganzes Bündel von Ursachen: Religiöse oder ethnische Konflikte, Habgier einzelner Warlords, irrationaler Hass, usw. Eine auch nur entfernte Mitverantwortung des Westens findet dabei so gut wie keine Erwähnung. Tatsächlich ist es aber in der Kriegsursachenforschung nahezu unbestritten, dass Armut der bei weitem wichtigste Faktor für das Ausbrechen gewaltsamer Konflikte darstellt. Dennoch hält man im Westen unbeirrt am neoliberalen Weltwirtschaftssystem fest, obwohl mit ihm eine dramatische Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung einherging. Statt sich für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung einzusetzen, wird deshalb verstärkt versucht, mit militärischen Mitteln den Dampfkessel der Globalisierungskonflikte unter Kontrolle zu bringen.

Referent: Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger informationsstelle Militarisierung (IMI) und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und verschiedene Bücher zu friedenspolitischen Themen.

Formen von Demokratie in Betrieben, Wirtschaft und Gesellschaft

Mittwoch 02.12.2009, 18.30 Uhr, Raum: P3 (Philosophicum) Formen von Demokratie in Betrieben, Wirtschaft und Gesellschaft

Gegen das Alleinbestimmungsrecht der Kapitaleigentümer und ihrer Manager und deren großen gesellschaftlichen Einfluss entstanden seit ca. 1850 zahlreiche unterschiedliche Konzeptionen für Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft: Arbeiter-, Betriebs-, Aufsichts- und Wirtschaftsräte, Formen der Mitbestimmung und Arbeiterselbstverwaltung/Vergesellschaftung von Betrieben. Diese hatten unter anderem das Ziel, die Demokratie auch auf die wirtschaftliche Sphäre auszuweiten. Der Vortrag beleuchtet und hinterfragt diese Ziele sowie deren Umsetzung, insbesondere die Frage der Vergesellschaftung von Betrieben und Arbeiterselbstverwaltung und diskutiert ihre Bedeutung für die heutige Zeit, auch angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Referent: Anton Kobel, Diplom-Volkswirt, lebt in Heidelberg, arbeitet(e) als Gewerkschaftssekretär, ist Redakteur beim ›express‹ und organisiert/leitet Seminare im gewerkschaftlich-betrieblichen Bereich; ein Schwerpunkt sind neue Arbeitskampfsformen, er organisierte 1994/95 die Kampagne für Betriebsräte bei der Drogeriekette Schlecker.”

Ein gutes Klima für und mit gleichberechtigter Bürgerschaft?

Dienstag 08.12.2009, 18.30 Uhr, Raum: P2 (Philosophicum) Ein gutes Klima für und mit gleichberechtigter Bürgerschaft?

Die in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geführte global governance-Diskussion suchte zum einen die Charakteristika der “post-nationalen Konstellation” analytisch zu erfassen, zum anderen normativ einen Beitrag zur Wiederherstellung des im Globalisierungsprozess beeinträchtigten Primats der Politik zu leisten. Mittlerweile hat sich, der faktischen Klimapolitik folgend, ein nicht unwesentlicher Teil der Politikwissenschaft Formen von vorrangig marktbasierter private governance zugewandt und erkundet deren Potenzial für ein System von Governance, das sowohl klimapolitische Sach- und Ordnungsleistungen erbringt als auch Verfahrenskriterien demokratischer Legitimität Genüge tut. Der v. a. von den sozialen Bewegungen des globalen Südens getragene Diskurs zu inclusive citizenship (gleichberechtiger Bürgerschaft) bezweifelt die Tauglichkeit von Marktlogiken, das Desiderate Klima-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit erfüllen und meldet erhebliche demokratische Defizite der dominanten klimapolitischen Instrumente von Emissionshandel und Clean Development Mechanism an.

Referentin: Prof. Dr. Claudia von Braunmühl, geb. 1944, studierte Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, 1968 – 1979 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaft der J.W.G. Universität Frankfurt, 1976/77 Gastprofessorin am Department of Politics der University of Edinburgh, 1980 – 1984 Beauftrage des Deutschen Entwicklungsdienstes in Jamaika, seit 1996 Honorarprofessorin für Internationale Politik am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin, 2002 bis 2005 Lehrstuhlvertretung  “Entwicklungssoziologie/Entwicklungspolitik”(C4) an der Universität Bielefeld; seit 1984 unabhängige entwicklungspolitische Gutachterin und Beraterin. Mitglied u.a. des wissenschaftlichen Beirats von attac, der Grünen Akademie der Heinrich Böll Stiftung, der AG Friedens- und Konfliktvorschriften, Vergabegremium des Bündnis Entwicklung hilft.

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