Publikation Madeleine Riffaud und ihre Schwestern: Frauen in der Résistance

Vor wenigen Tagen verstarb die Résistance-Kämpferin Madeleine Riffaud im Alter von 100 Jahren. Eine Würdigung der Frauen im bewaffneten Widerstand gegen die Nazis von Jonas Engelmann

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Madeleine Riffaud und ihre Schwestern

Frauen in der Résistance

Von Jonas Engelmann

Lange Zeit wurde der Kampf der Frauen im Widerstand gegen die Nazis von der Geschichtsschreibung nicht anerkannt, ihre Beteiligung an der Résistance unterschlagen. Oftmals schätzten die Frauen selbst ihren Einsatz als zu gering ein und wollten nicht über das vermeintlich Selbstverständliche reden. Andere waren traumatisiert und wollten die Zeit vergessen. Auch die Dichterin und Kriegsberichterstatterin Madeleine Riffaud hat das Schweigen über ihre Beteiligung am bewaffneten Widerstand erst spät gebrochen. Die gezeichnete »Madeleine-Trilogie« ehrt die Frau, die von den Deutschen zum Tode verurteilt und am 6. November diesen Jahres verstorben ist, nachdem sie im August ihren 100. Geburtstag gefeiert hat.

Madeleine Riffaud in den 1940er-Jahren By La Vie Ouvriere, Fair use, en.wikipedia.org/w/index.php

„Diese heroischen Mädchen – sie sind ein Thema, das nach der Feder eines großen Dichters verlangt“, notierte Emanuel Ringelblum, der im März 1944 von den Nazis erschossene Chronist des Warschauer Ghettos, über die zumeist jungen jüdischen Frauen, die sich dem Widerstand gegen die Nazis angeschlossen hatten. Aber nach dem Sieg über Nazideutschland griff keiner der namhaften Schriftsteller zur Feder, um den weiblichen Beitrag im Kampf gegen die Barbarei zu würdigen. Rachel Cheigham, die in der französischen Résistance an der Rettung jüdischer Kinder beteiligt und auch im bewaffneten Kampf der Armée Juive aktiv war, erklärte: „Abgesehen von ein paar wenigen bekannten Frauen, die als Heldinnen verehrt werden, spricht man nicht von ihnen. Mit Auszeichnungen wurden nach dem Krieg die Männer dekoriert, nicht die Frauen.“ 

Auch die deutsch-französische Journalistin und Frauenrechtlerin Florence Hervé, die sich mit dem lange Zeit übersehenen Einsatz von Frauen in der Résistance beschäftigt hat, wies darauf hin, dass nach 1945 zu Ehrung ihres Engagements in der Résistance 1024 Männer zum „Ritter der Befreiung“ ernannt wurden, aber lediglich sechs Frauen. Dass sich dieses Missverhältnis nicht mit dem zahlenmäßig stärkeren Einsatz von Männern erklären lässt, hat die Forschung inzwischen belegt. In einer 2020 von Hervé herausgegebenen Anthologie werden allein 75 Frauen aus mehr als 20 Ländern vorgestellt, die oftmals unter Lebensgefahr gegen die deutsche Terrorherrschaft gekämpft haben. 

Die lange fehlende Aufmerksamkeit betraf nicht nur die Anerkennung von staatlicher Seite, sondern auch die Forschung und Dokumentation. Die 2024 verstorbene Journalistin Ingrid Strobl hat in ihrer 1988 erschienenen ersten großen Studie zum Thema, „‚Sag nie, du gehst den letzten Weg‘. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und Besatzung“, festgehalten, dass vor 1970 insgesamt nur vier Werke veröffentlicht worden sind, die den weiblichen Widerstand in Europa berücksichtigen. Erst mit der zweiten Welle des Feminismus wurde die aktive Rolle von Frauen im Kampf gegen den Nationalsozialismus von der Forschung in den Blick genommen und die noch lebenden Résistance-Kämpferinnen wurden befragt.

Ingrid Strobl kam nach dem Studium dieser Berichte aus unterschiedlichen von den Deutschen besetzten Ländern zu dem Schluss, dass die Infrastruktur des Widerstands vor allem von Frauen aufrechterhalten wurde. Dass Frauen des französischen Widerstands auch von der feministischen Bewegung sehr spät als Widerstandskämpferinnen wahrgenommen wurden, hängt stark mit den Funktionen zusammen, die die Widerständigen im Gefüge des Antifaschismus innehatten. Frauen exponierten sich seltener und waren in den Strukturen der Résistance weniger in Führungspositionen oder im bewaffneten Flügel aktiv. Anders als in den Partisanenkämpfen Osteuropas oder den bewaffneten Aufständen in den Ghettos, wo Frauen durchaus mit der Waffe in der Hand neben ihren männlichen Genossen kämpften, blieben die aktiv militanten Kämpferinnen in Frankreich die Ausnahme. Aber es gab auch Frauen, die unmittelbar in bewaffnete Strukturen eingebunden waren. Etwa Rosine Grynvogel, die in Marseille ein deutsches Offizierskasino sprengte, oder Paulette Rappaport-Gruda, die im Süden Frankreichs die Leitung der Union des Juifs pour la Résistance et l’Entraide (UJRE) innehatte. 

Insgesamt haben Frauen im Widerstand seltener als Männer mit der Waffe in der Hand gekämpft, oftmals haben sie Kurierdienste übernommen, da sie seltener kontrolliert wurden als Männer, sie transportierten unter Lebensgefahr Informationen, Waffen und Sprengstoff. Frauen übernahmen auch meist die wichtige Rolle der Verbindungspersonen zwischen den einzelnen organisierten Widerstandsgruppen, die nicht nur Waffen für Aktionen transportieren, sondern auch Anschlagsziele auskundschafteten, Lebensmittel besorgten und so die Logistik des Widerstands organisierten. Da sie als Verbindungspersonen viel über die Strukturen unterschiedlicher Gruppen wussten, waren sie besonders im Visier der Gestapo und mussten bei ihrer Verhaftung mit schwerer Folter rechnen. 

Rachel Cheigham erklärte die Zurückhaltung der Frauen, über ihren Beitrag zu sprechen, so: „Die Männer, die direkt gegen den Feind gekämpft haben, in der direkten Konfrontation, haben nicht mehr gemacht als die Frauen, aber sie haben das Bewusstsein, gekämpft zu haben. Die Frauen haben nicht das Gefühl, gekämpft zu haben. Sie haben den Eindruck, sie haben getan, was getan werden musste.“ Diese Zurückhaltung hat sicher auch mit der damaligen Rolle der Frau zu tun: Das Frauenwahlrecht wurde in Frankreich erst Mitte 1944 von der Exilregierung eingeführt, arbeiten durften Frauen nur mit Einverständnis des Ehemannes. So hatten sich die Kämpferinnen immer auch gegen gesellschaftliche Normen und Zuschreibungen zu behaupten, die auch innerhalb der Résistance selbst wirksam waren.

Nicht nur in der gesellschaftlichen Wahrnehmung gab es diese Ungleichbehandlung, sie setzte sich vor allem auch juristisch fort. „Als der Krieg beendet war und man die Ausweise für ehemalige Widerstandskämpfer verteilte, haben die Frauen kaum welche bekommen“, fasst Rachel Cheigham die Situation nach dem Krieg zusammen. „Sie haben sich dann später noch darum bemüht, denn dieser Ausweis war wichtig für die Rente. Aber die Männer haben sich sofort darauf gestürzt, auch solche, die gar nichts gemacht haben.“

Eine dieser Frauen, die für die Anerkennung als Widerstandskämpferin vor Gericht ziehen musste, war die 1921 in Paris geborene Fanny Azenstarck, deren Eltern Salel und Perla Azenstarck als Migranten aus Osteuropa nach Paris gekommen waren – Perla stammte aus Polen, Salel aus Russland, die gemeinsame Sprache war Jiddisch. Sie war 1940, fünf Tage vor der Eroberung von Paris, aus der Stadt in den unbesetzten Süden des Landes nach Lyon geflohen, wo sie sich der Union de la Jeunesse Juive anschloss, einer mit der Kommunistischen Partei assoziierten jüdischen Jugendorganisation, die kleine Akte des Widerstands im Vichy-Frankreich organisierte. Später wurde Fanny Azenstarck Mitglied des 1943 gegründeten Mouvement unis de la Résistance (MUR), in der sich drei Widerstandsgruppen des Südens zusammengeschlossen hatten. Im Auftrag der Résistance transportierte sie geheime Briefe und Nachrichten, bis sie am 9. Juni 1944 zusammen mit einem Großteil der Lyoner Widerstandskämpfer von der Gestapo festgenommen wurde. Vom Durchgangslager Drancy wurde sie am 31. Juli 1944 zusammen mit 1 310 weiteren Gefangenen nach Auschwitz-Birkenau deportiert; 250 von ihnen überlebten, unter ihnen Azenstarck. 

Nach der Befreiung ging Azenstarck zurück nach Frankreich, wo sie 1954 einen Antrag zur Anerkennung als „politische Deportierte“ beziehungsweise „deportierte Widerstandskämpferin“ stellte. Erst 1959 wurde ihr Status als „politische Deportierte“ anerkannt. Ihr Antrag, als Deportierte aufgrund ihrer Aktivität in der Résistance eingestuft zu werden, blieb unbeantwortet. Es war eine Ungleichbehandlung, die vielen Frauen aus dem bewaffneten Widerstand widerfuhr, dabei war diese Einstufung nicht unbedeutend für den späteren Rentenanspruch: Widerstandskämpfern stand laut Gesetz eine besondere Zulage zu.

Frauen wie Fanny Azenstarck oder Madeleine Riffaud, die sich im kommunistischen Widerstand engagierten, waren nach dem Krieg zusätzlich mit der Schwierigkeit konfrontiert, für ihren Einsatz überhaupt Anerkennung zu finden, weil sie angeblich für die falsche Sache gestritten hatten. Zwar war Riffauds Résistance-Zusammenschluss FTP (Francs-tireurs et partisans) die am besten organisierte und erfolgreichste Gruppe innerhalb der französischen Résistance, aber da sie der Kommunistischen Partei nahestand und sich 1944 nur widerwillig Charles de Gaulles Zusammenschluss verschiedener Widerstandsgruppen unterordnete, wurde ihr Beitrag zur Befreiung heruntergespielt oder sogar diffamiert. Deshalb war die Aufnahme des kommunistischen Widerstandskämpfers Missak Manouchian und seiner ebenfalls im Kampf gegen die Nazis engagierten Ehefrau Mélinées in den Panthéon Anfang dieses Jahres ein wichtiger und überfälliger Akt der Anerkennung. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte sich dafür eingesetzt, die sterblichen Überreste des von deutschen Soldaten nahe Paris hingerichteten Widerstandskämpfers armenischer Herkunft in die Pariser Ruhmeshalle zu überführen. Damit würdigte Frankreich auch den Einsatz migrantischer Partisanen im Kampf gegen die Nazis. 

„Mit Manouchian ziehen alle Armenier, Italiener, Spanier und mitteleuropäische Juden ins Panthéon, die für die Befreiung ihr Leben gelassen haben“, hat der Historiker Denis Peschanski die Bedeutung dieses symbolischen Aktes zusammengefasst. Peschanski verweist damit auch auf den wichtigen Fakt, dass innerhalb des Résistance-Zusammenschlusses FTP die migrantische Gruppe FTP-MOI (Francs-tireurs et partisans – main d’œuvre immigrée) entstanden war, in der sich vor allem vor den Nazis nach Frankreich geflohene Menschen organisierten, darunter viele Juden. Diese passten nach dem Krieg so wenig ins Bild des patriotischen französischen Befreiungskampfes wie die Frauen.

Cover von Madeleine, die Widerständige Bd. 1 DIE ENTSICHERTE ROSE © avant-verlag 2022

Eine wichtige Rolle nahmen jüdische Frauen im Widerstand bei der Rettung von Kindern und Jugendlichen ein, die bei nichtjüdischen Familien im Land versteckt oder ins Ausland gebracht wurden. Insgesamt konnten jüdische Organisationen etwa 10 000 Kinder vor der Deportation bewahren. 

Aber auch an Sabotageakten und bewaffneten Angriffen auf deutsche Soldaten waren Frauen direkt beteiligt, Ingrid Strobl fasst zusammen: „Sie beteiligen sich an Entgleisungsaktionen, an Bombenanschlägen gegen deutsche Einrichtungen und Kollaborationsbetriebe, sie führen gezielte Anschläge gegen Deutsche und Kollaborateure durch.“ Der Weg in den Widerstand begann für die meisten Frauen mit kleineren Aktionen. Geneviève de Gaulle, die Nichte von General de Gaulle, beschreibt ihren beginnenden Ungehorsam so: „Ich erinnere mich an meine erste Aktion, das Abreißen einer kleinen Flagge mit Hakenkreuz auf einer Brücke in Rennes, am Fluss namens Vilaine. Es hat mich geärgert, das Hakenkreuz dort zu sehen.“ Ab August 1941 gingen die Partisanen zu bewaffneten Aktionen über, sprengten Schienen, überfielen Lokale, erschossen deutsche Militärs. „Im gleichen Monat noch erlässt die Vichy-Regierung ein Sondergesetz gegen Straftaten mit kommunistischem oder anarchistischen Hintergrund“, fasst Ingrid Strobl zusammen. 

Die am 23. August 1924 im nordfranzösischen Arvillers geborene Madeleine Riffaud war im von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs im Widerstand aktiv. Auch sie begann in der Résistance mit Kurierdiensten, bis sie schließlich zur Waffe griff. „Mir war klar, dass es den Kriegsverlauf nicht ändert, wenn ich einen einzelnen Soldaten töte“, sagt Riffaud. „Aber ich wollte ein Signal geben. Paris musste sich erheben.“ Diese Erinnerungen öffentlich zu teilen, war lange Zeit nicht selbstverständlich für Riffaud. „Ich bin 70 Jahre alt, und ich habe alles vergessen. Wenn man von der Gestapo geschnappt wurde, hatte man zu sagen, dass man nichts weiß“, erklärt sie ihrem Résistance-Mitkämpfer Raymond Aubrac 1994 bei einem Gespräch. „Ich wurde geschnappt. Ich weiß nichts mehr!“ Nach dem Krieg verkehrte Riffaud in Künstlerkreisen und arbeitete zunächst als Dichterin, später als Journalistin und Kriegsberichterstatterin. Es mussten aber 50 Jahre vergehen, bis sie über ihre Teilnahme am Widerstand sprechen konnte. Die Anregung dazu kam von ihrem ehemaligen Gefährten Raymond Aubrac, der sie ermutigte, endlich zu reden: „Es sind jetzt 50 Jahre seit der Befreiung vergangen. Wir müssen die Wahrheit sagen. Erzählen, wie alles passiert ist. (…) Wenn du weiter schweigst, wird sich niemand mehr an all unsere Genossinnen erinnern, die mit 17 gestorben sind. Willst du das?“ 

Riffaud ließ sich von Aubrac überzeugen, ihre biographischen Erfahrungen fortan mit den nachfolgenden Generationen zu teilen. Sie stellte ihr Wissen Historikern, Fernsehzuschauern und Schulklassen zur Verfügung. „Kinder können so präzise Fragen stellen“, so Riffaud. „Sie halfen mir, mein Gedächtnis bis in die hintersten Winkel zu durchforsten.“ 

Einige Jahre später kam der Comicszenarist Jean-David Morvan auf sie zu, der sie – obwohl sie dem Medium Comic skeptisch gegenüberstand – überreden konnte, gemeinsam mit dem Zeichner Dominique Bertail die als Trilogie angelegte Comicreihe „Madeleine, die Widerständige“ zu entwickeln. 2022 erschien mit „Die entsicherte Rose“ der erste Band, der im selben Jahr mit dem Prix René Goscinny für das beste Szenario auf dem Comicfestival von Angoulême ausgezeichnet wurde. Nun ist aus Anlass ihres 100. Geburtstags die Fortsetzung „Das rote Federbett“ auf Deutsch erschienen, die sich auf Madeleine Riffauds aktive Zeit in der Résistance konzentriert; in Frankreich ist bereits der abschließende dritte Teil veröffentlicht worden, der die Befreiung von Paris ins Zentrum stellt.

Cover von Madeleine, die Widerständige Bd. 2 DAS ROTE FEDERBETT © avant-verlag 2024

Die dreiteilige Graphic Novel orientiert sich an den Erinnerungen von Riffaud, deren Erzählstimme die Geschichte prägt. Es ist eine Erzählung voller Lücken, Vorgriffen und Korrekturen, wie sie die Erinnerungen an eine weit zurückliegende Zeit mit sich bringen. Der Zeichner Dominique Bertail hat sich in seinen Zeichnungen an historischen Fotos und Dokumenten orientiert, deshalb wirken die Bilder im Unterschied zu der von Riffaud erzählten Geschichte oftmals etwas statisch; jedes Panel gleicht einem Foto, die Dynamik des Erzählten wird auf diese Weise ausgebremst.

Der Weg in die Résistance beginnt mit vielen kleinen Schritten, am Anfang stand die Wut des jungen Mädchens auf die deutschen Besatzer. Im Mai 1940 war sie mit ihrem Großvater in einem Flüchtlingstreck unterwegs, der von deutschen Jagdfliegern angegriffen wurde. „Ich dachte: unmöglich. Sie werden nicht auf uns schießen. Wir sind doch bloß arme Leute, wir haben keine Waffen“, erinnert sie sich an ihre Gedanken vor dem Angriff, bei dem viele Menschen umgekommen sind. „Zum ersten Mal war ich Überlebende.“ Einige Monate später strandet sie mit ihrem kranken Großvater in einem Zug im nordfranzösischen Amiens. Der Bahnhof wird von deutschen Soldaten blockiert, die Riffaud belästigen, als sie den Zug verlässt, um beim Roten Kreuz Hilfe für ihren Großvater zu organisieren. Ein ranghoher Soldat versetzt ihr einen Tritt, sodass sie stürzt. „Die Besatzungstruppen hätten eines besser wissen sollen: Mit einem einzigen Arschtritt halst man sich mehr Widerstandskämpfer, Partisanen und dergleichen auf als mit anderen Dingen“, blickt sie später auf diesen Moment zurück. „Ich hatte schon von den Terroristen, wie unsere Feinde sie nannten, gehört. Ich wusste zwar nicht wie, aber ich würde sie finden … und an ihrer Seite kämpfen.“ Anschließend hat sich die damals Siebzehnjährige auf die Suche nach dem bewaffneten Widerstand begeben. 

Der erste Band der Comic-Trilogie erzählt in Etappen von der Annäherung an die Résistance, die von Zufällen geprägt war, denn es gelang Riffaud zunächst nicht, zu einer Gruppe Kontakt aufzunehmen. Erst als sie sich Mitte 1941 wegen einer Tuberkulose in ein Sanatorium nahe Grenoble im unbesetzten Teil Frankreichs begibt, kommt sie in Kontakt mit dem Widerstand. „Dieses Sanatorium war wirklich ein Ort voller Kultur. Die Bibliothek war ein Traum“, erinnert sie sich. „Die beherbergte zum Beispiel sämtliche Bücher der Surrealisten, die die Boches verboten hatten.“ Erst nach ihrer Rückkehr nach Paris hat Riffaud erfahren, dass das Sanatorium eine Schaltzentrale der Résistance war: „Krankenschwester und Ärzte behandelten und versteckten hier Verwundete, Juden und Zwangsarbeitsverweigerer. Im Untergeschoss befand sich eine geheime Druckerei. Und die Leiter der lokalen Widerstandsgruppen hielten dort geheime Treffen ab.“ 

Im Sanatorium lernt sie den Mitpatienten Marcel Gagliardi kennen, der schon seit 1940 in Paris Teil der Résistance war, verliebt sich und geht mit ihm in die Hauptstadt, wo sie sich zur Tarnung an einer Hebammenschule einschreibt. Immer wieder muss sie sich als Frau mit den sexistischen Vorurteilen ihrer Mitkämpfer auseinandersetzen. „Ganz hübsch, die kleine Briefträgerin“, sind etwa die ersten an sie gerichteten Worte bei einem frühen Treffen. „Ich bin nicht scharf drauf, dich in den bewaffneten Kampf zu schicken. Das ist zu gefährlich für ein Mädchen“, bekommt sie kurz darauf zu hören. „Hör zu, ich hab einen Kopf, zwei Beine und zwei Arme, das ist alles, was man braucht, um ein Freischärler und Partisan zu werden, oder?!“, antwortet sie. Durch ihre resolute Art kann sie schnell in der Hierarchie der Résistance aufsteigen, ihr nom de guerre lautet Rainer, nach dem Dichter Rainer Maria Rilke. Bald ist sie an zahlreichen Überfällen und Raubzügen beteiligt, um Waffen, Druckmaterial und Geld für den Widerstand zu beschaffen. 

Der Comic erzählt detailliert von den Taktiken und Strategien der Résistance, um den vorrückenden Deutschen etwas entgegenzusetzen. Dabei begeben sie sich immer öfter auch öffentlich in Gefahr. „Guten Tag, Professor. Ich bin hier, um das Wort für die Résistance zu ergreifen“, bittet Riffaud etwa an der Medizinischen Fakultät nach einer Vorlesung um das Wort. „Kein Professor hat je Nein zu mir gesagt. Niemals.“

Auch über die Organisationsstruktur der Résistance erfährt man in „Madeleine, die Widerständige“ viel; über Tarnnamen, den pyramidenförmigen Aufbau, der verhindert, dass man mehr als nur die notwendigsten Personen trifft, um unter Folter keine Informationen preisgeben zu können, über Safe Houses und die Solidarität vieler Franzosen mit dem Widerstand. Nach und nach rückt Riffaud in der Hierarchie der Résistance weiter nach oben, muss für eine Weile untertauchen, weil eine Person aus ihrem Führungsdreieck verhaftet wurde, sie ist an Sprengstoffanschlägen beteiligt und setzt sich irgendwann über die Anordnungen der ihr übergeordneten Kämpfer hinweg: „Scheiß auf die Befehle, manchmal muss man seinem Bauch folgen.“ 

Vorausgegangen war dieser Entscheidung die Ermordung ihres Freundes Charles Martini durch einen deutschen Soldaten und vor allem das deutsche Massaker an 643 Männern, Frauen und Kindern in Oradour am 10. Juni 1944: „Die 2. SS-Panzerdivision ‚Das Reich‘ hatte, frustriert darüber, auf ihrem Weg in die Normandie aufgehalten worden zu sein, das größte Massaker an Zivilisten verübt, in dem friedlichen Ort Oradour, in dem ich oft in Ferien war.“ Sie erschießt auf offener Straße einen deutschen Offizier, flieht auf einem Fahrrad und wird von einem französischen Milizionär geschnappt und an die Gestapo übergeben. Mit der sehr explizit dargestellten und sich über mehrere Tage – und Comicseiten – erstreckenden Folter endet der zweite Band von „Madeleine, die Widerständige“. 

Deutsche Leser müssen sich noch ein wenig gedulden, bis sie erfahren, unter welchen Umständen Madeleine Riffaud, die nach wochenlangen Schlägen, Stromstößen und Schlafentzug am 5. August 1944 erschossen werden sollte, am 18. August in Freiheit kam und schon wenige Tage später wieder auf den Barrikaden von Paris stand, um die Befreiung der Hauptstadt mit der Waffe zu unterstützen. Berühmtheit erlangte sie vor allem durch ihre Beteiligung an einem Überfall auf einen Zug voller deutscher Soldaten in einem Tunnel nahe Paris, bei dem die Widerstandskämpfer Sprengsätze auf die Schienen warfen und den Tunnelausgang mit Maschinengewehren beschossen. „Dabei war aus Versehen auch eine Kiste mit Feuerwerk auf den Schienen gelandet. Blaue und rote Raketen schossen raus. Die Deutschen wussten nicht, wie ihnen geschah“, erinnert sie sich. Die über 80 Soldaten haben sich bedingungslos ergeben. Zwei Tage vor der Befreiung von Paris am 25. August 1944 wird Madeleine Riffaud 20 Jahre alt. „Selbst in den schlimmsten Momenten – wie als uns die Deutschen für ein Stück Brot weinen, uns kriechen sehen wollten –, in solchen Momenten muss man sich sagen: Ich bin kein Opfer! Ich bin ein Kämpfer!“, hat sie in einem Interview ihre Motivation zusammengefasst. „Das ändert alles!“ 

Die Hoffnung Emanuel Ringelblums, dass der heroische Einsatz der „Mädchen“ eine literarische Würdigung erfährt, hat sich spät und wohl anders als von ihm erhofft, am Ende aber doch erfüllt.

Madeleine Riffaud und Jean-David Morvan (Text und Szenario), Dominique Bertail (Zeichnungen): Madeleine, die Widerständige. Band 1 & 2 • Aus dem Französischen von Marcel Le Comte • Avant-Verlag, Berlin 2022/2024 • 128/136 Seiten • Hardcover • Je 29,00 Euro