Publikation Torsun von Egotronic über das Haus Mainusch, eine Antifa-Demo und lähmende Debattenkultur

Torsun teilt seine Erinnerung an eine missglückte Antifa-Aktion ca. 1992, bei der das Haus Mainusch eine zentrale Rolle spielt.

Information

Mit dem seit 1988 bestehenden autonomen Kultur- und Kommunikationszentrum Haus Mainusch verbinden viele Menschen intensive Erinnerungen - an Konzerte, Diskussionen, endlose Plenumsabende oder veganen Mittagstisch. Seit vielen Jahren ist dieser wichtige Freiraum ebenso wie der angeschlossene Bauwagenplatz auf dem Mainzer Campus von Verdrängung und Abriss bedroht. Aktuell wurde die Duldung verlängert, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser letzte sozio-kulturelle Freiraum in Mainz verschwinden wird. Wir dokumentieren an dieser Stelle unterschiedlcihe Perspektiven und Erinnerungen an das »unabhängige Kommunikationszentrum Haus Mainusch«, wie es auf dem ersten Flugblatt 1988 hieß. 

Den Anfang macht Torsun, Sänger und Texter von Egotronic, der seit Bestehen der Band 2001 mehrfach im Haus Mainusch auftrat. Aber auch schon zuvor hat der in den Neunzigern in der »Antifa Bergstraße« aktive Torsun intensive Begegnungen mit dem Haus und der dortigen Debattenkultur gemacht. 

»Raven gegen Deutschland« – Egotronic live

Neben vielen guten Erinnerungen habe ich auch eine eher schlechte an das Haus Mainusch in Mainz. Es muss so um 1992 oder 1993 gewesen sein, als Nazis zum großen Aufmarsch in Mainz aufriefen. Soweit ich mich erinnere, sollte nach dem Aufmarsch auf dem Gelände der Nazi-Müllers in Gonsenheim gefeiert werden. Grund genug für die Antifa Bergstraße, in die ich involviert war, dorthin aufzubrechen, um sich den Gegenprotesten anzuschließen.

Treffpunkt der Antifas war, wie so oft, das Haus Mainusch und wenn ich mich recht entsinne, war dort auch der EA untergebracht. So weit, so löblich. Die Polizei machte es an diesem Tag ausnahmsweise mal nicht nur den Antifas, sondern auch den Nazis schwer und verhinderte vorerst jede Demonstration. Und während viele Nazis aus dem ganzen Bundesgebiet etwas planlos durch die Stadt irrten, beschloss meine Antifa mit ein paar befreundeten Mainzer Genoss*innen, sich diesen Umstand zu Nutze zu machen. Einer der führenden Mainzer Nazis, der auch Anmelder der Faschodemo war, hieß Michael Petri. Dieser erlangte bundesweit Bekanntheit, weil er einer der ersten, wenn nicht gar der erste war, der eine Broschüre mit Namen und Adressen von politischen Gegnern, also eine Anti-Antifabroschüre, veröffentlicht hat. Petri jedenfalls hatte sich mit weiteren Nazis auf das Grundstück der Müllers zurückgezogen, um Anrufe von angereisten Kameraden entgegenzunehmen und diese dann zu einem geeigneten Treffpunkt zu leiten. Als wir das erfuhren war die Sache klar. Wir riefen dort an und behaupteten, dass wir eine etwa 20-köpfige Nazigruppe aus Bayern wären, die sich in Mainz nicht auskennt und dringend Informationen braucht, wo sie sich mit anderen Kammeraden treffen könne, da die Stadt ja »Zeckenverseucht« sei, weshalb wir uns nicht sicher fühlten. Jetzt passierte das unglaubliche: Petri schlug vor, sich mit zwei Delegierten von uns zu treffen und nannte uns einen Treffpunkt, an dem wir eine Stunde später zu sein hätten. Wir sagten zu.
 

Historisches Bildmaterial: Ein früher Auftritt von Egotronic

Direkt nach dem Telefonat entstand eine rege Diskussion darüber, wer von uns diese sicher nicht ungefährliche Aufgabe übernehmen sollte. Die Wahl fiel auf einen Genossen und mich (beide Antifa Bergstraße), weil wir uns zur Angewohnheit gemacht hatten, immer eher schick gekleidet auf Demos zu gehen, um so den ständigen Verhaftungen ein Ende zu bereiten (was übrigens ganz ausgezeichnet klappte). Ich, der kleinere von uns beiden, scheitelte mir daraufhin die Haare, zog Hemd und Schlips an, bekam Doc Martens geliehen und sah nun stilecht wie ein Nazi-Ortsgruppenleiter aus. Mein größerer Genosse trug Rangers-Stiefel, ebenfalls Scheitel, Schwarze Jeans und Bomberjacke und sollte meinen Bodyguard spielen. 15 Minuten vor dem geplanten Treffen machten wir uns auf den Weg. Zur Eigensicherung hielten sich immer kleine Grüppchen schlagkräftiger Genoss*innen im näheren Umfeld auf und beobachteten uns, um ggf. eingreifen zu können, falls wir auffliegen sollten. Kaum, dass wir uns auf den Weg gemacht hatten, kam uns eine Gang Jugendliche mit Migrationshintergrund entgegen und musterte uns skeptisch. Wir bekamen schon schiss, dass sie uns berechtigter Weise für Nazis halten könnten und ebenfalls berechtigt angreifen würden, aber die Situation ließ sich dadurch entschärfen, dass wir jedem Einzelnen, als sie uns um Kippen anschnorrten, eine gaben.
Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir den Treffpunkt und trafen direkt auf Petri, der ebenfalls mit einem Bodyguard erschienen war und uns mit leicht verstecktem Hitlergruß in Empfang nahm. Dass unsere Verkleidung perfekt gelungen war, zeigte sich nun, denn Petri teilte uns Zeit und Ort mit, wo sich alle von auswärts angereisten Nazis einfinden sollten, um einen letzten Versuch der Durchführung einer Demo zu wagen. Wir sicherten zu, unsere Kameraden zu mobilisieren und pünktlich dort einzutreffen. Dann verabschiedeten wir uns.
Euphorisch über diesen gelungenen Coup fuhren wir direkt ins Haus Mainusch, um den dort verweilenden Antifagruppen mitzuteilen, was wir rausgefunden hatten. Für uns stand fest, dass jetzt lediglich noch durch eine Einzelperson oder Kleinstgruppe geprüft werden musste, ob die Angaben der Nazis stimmten, um dann kollektiv vom Haus Mainusch aufzubrechen, um den Faschos aus dem ganzen Bundesgebiet den Hintern aufzureißen.
Leider kam alles ganz anders. Nachdem nämlich bestätigt werden konnte, dass immer mehr Nazis am angegebenen Ort eintrafen, die Informationen somit absolut korrekt waren, startete im Haus Mainusch eine nicht enden wollende Debatte darüber, ob man wirklich angreifen sollte. Da keine Einigung über ein gemeinsames Vorgehen hergestellt werden konnte, ließ man es bleiben. Nicht zu fassen. Für so eine Scheiße hatten wir unsere körperliche Unversehrtheit riskiert. Wir, die Antifa Bergstraße und unsere Mainzer Genoss*innen, verließen jedenfalls daraufhin unter lautem Gepöbel das Haus Mainusch, das wir ab diesem Zeitpunkt nur noch Hippie-, Laber- oder Dummschwätzerhaus nannten. Es sollte eine ganze Weile dauern, bis ich mich dazu hinreißen ließ, es wieder zu betreten.

Das Cover der von uns unterstützten Publikation zur Geschichte des Haus Mainusch.