Publikation Asyl-Rechtsanwältin in den Zeiten von Corona

Die Anwältin Rana Issazadeh berichtet aus ihrem aktuellem Arbeitsalltag

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Die Asyl-Rechtsanwältin Rana Issazadeh

Rana Issazadeh 

Asyl-Rechtsanwältin  in den Zeiten von Corona

Während ich im Home Office in meiner kurzen Mittagspause meinen Cappuccino trinke, lese ich beim Scrollen durch den News Feed bei Facebook allerlei Tipps meiner Facebook-Freunde gegen die Langeweile aufgrund der Corona-Krise. Kreative Ideen, Wanderwege, die neuesten Inspirationen, wie man Ordnung durch Entrümpeln schafft, die besten Netflix-Serien, alles ist dabei. Nur, dass ich keine Langeweile habe – meine Arbeit ist durch die Corona-Krise nicht weniger, sondern viel mehr geworden. 

Als Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Migrationsrecht muss ich zur Zeit nicht nur meine normale Arbeit bewältigen, sondern kämpfe nun seit Wochen verzweifelt für meine Mandanten, um ihnen ein Stück weit ihre Menschenwürde zurückzugeben. Denn die Mehrheit meiner Mandanten sind Menschen im laufenden Asylverfahren. Und für sie gelten ganz offensichtlich die vielbeschworenen Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht. 

Viele meiner Mandanten sind aufgrund der verschärften Asylgesetze gezwungen, bis zu 18 Monaten in Massenunterkünften zu leben. Die Situation in diesen Unterkünften ist unterschiedlich, aber überall ähnlich katastrophal: Eine Mandantin lebt in einem Raum mit sieben weiteren Frauen zusammen. Eine weitere Mandantin lebt mit drei weiteren Frauen zusammen. Mit Etagenbetten. 

Die Situation einer weiteren Mandantin: sie muss sich mit ca. 20 weiteren Frauen drei Toiletten teilen. Seife gibt es in der Flüchtlingsunterkunft nicht. Darum müssen sich die Geflüchteten selbst kümmern. Paradox: in einer Flüchtlingsunterkunft in Rheinland-Pfalz (konkrete Unterkunft ist der Redaktion bekannt) steht seit Beginn der Corona-Krise kein Desinfektionsmittel mehr zur Verfügung – anders als vor der Krise, wo es an bestimmten Stellen welches gab. In dieser Unterkunft wurde pro Person eine Stoffmaske ausgegeben. Die Möglichkeit, diese Masken zu reinigen und desinfizieren, sind währenddessen nicht gegeben. Ungefähr 50 Menschen müssen sich eine Küche mit vier Kochplatten teilen. Normalerweise. Zur Zeit sind die Kochplatten im unteren Stockwerk defekt, das heißt, dass die Menschen von diesem Stockwerk die Küche in der oberen Etage benutzen müssen. Die Heimleitung scheint dies nicht zu interessieren, obwohl die Situation bekannt ist.

Aufgrund dieser Wohn- und Lebensbedingungen ist es den Bewohnern schlicht nicht möglich, sich an die Abstandsregelungen zur Eindämmung des Coronavirus zu halten. Hinzu kommt – das berichten alle meine Mandanten – dass ihnen keine Person oder Institution irgendwelche Informationen bzgl. der Corona-Pandemie gegeben hatte. Einige meiner Mandanten haben durch Telefonate mit mir überhaupt Kenntnis erlangt von der Sachlage. 

Daher habe ich die konkrete Situation, dass meine Mandanten und deren Familienangehörige mich seit Beginn der Corona-Krise verzweifelt anrufen, um aus der Unterkunft irgendwie herauszukommen. Für einige meiner Mandanten habe ich in den letzten Wochen eine Lösung finden können, unter Stress und Anspannung.

Einige Flüchtlingsunterkünfte haben bereits zu Beginn der Corona-Krise keine Erlaubnisse zum Verlassen der Unterkunft mehr erteilt. Dazu muss gesagt werden, dass Geflüchtete – auch ohne Corona-Krise – Ausgangsbeschränkungen haben. Sie müssen für jeden Besuch bei Familie, Freunden oder sogar bei Terminen beim Rechtsanwalt oder bei der Rechtsanwältin eine sog. Verlassenserlaubnis beantragen. Diese wurde auch in der Vergangenheit nicht immer erteilt. Seit Beginn der Krise ist diese kleine Freiheit, sich bewegen zu können, teilweise weiter massiv eingeschränkt worden.

Auf der anderen Seite wird die bisherige Praxis der Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz fortgeführt: Die Menschen müssen sich in einer Schlange anstellen,  um ihr Geld abzuholen. Dies könnte und muss anders organisiert werden, angesichts der aktuellen Situation.

Auch ohne Corona-Krise ist der Alltag von Geflüchteten sehr schwierig: Viele sind, wie viele meiner Mandanten, hoch motiviert und oft sehr gut ausgebildet, dürfen jedoch aufgrund der Asylgesetze weder arbeiten noch studieren. 

Vielerorts fehlen Weiterbildungsmöglichkeiten wie Computerkurse,  Sprachcafés oder ähnliches. Hinzu kommt, dass die medizinische Versorgung vollkommen unzureichend ist, fast täglich bekomme ich entsprechende Berichte. Insbesondere die psychologische Versorgung wird meines Erachtens nicht gewährleistet. Es ist für mich persönlich erschreckend, wie viele Suizidversuche zu verzeichnen sind.

Erst vor wenigen Tagen hat eine Mandantin einen Suizidversuch unternommen, nachdem ich über Wochen und Monate hinweg die zuständige Behörde, die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, schriftlich wie telefonisch, auf den akut schlechten Gesundheitszustand meiner Mandantin und die daraus entstehende dringende Behandlungsbedürftigkeit hingewiesen hatte. Es geschah nichts, bis zum Suizidversuch.

Ich habe bereits seit letztem Jahr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion sowie das Ministerium auf diverse Missstände, insbesondere die fehlende medizinische Versorgung von Geflüchteten in Rheinland-Pfalz in Schriftsätzen und stundenlangen Telefonaten aufmerksam gemacht. Die Reaktionen sind ernüchternd. Nun hat Corona-Krise die Situation von Geflüchteten dramatisch verschlimmert.

Im März hatte in Thüringen das Landesverwaltungsamt  ausgerechnet die Bundeswehr um »Unterstützung« gebeten; es ging um die Erstaufnahmeeinrichtung Suhl. Dort leben mehr als 500 Geflüchtete. Worum es bei diesem Amtshilfeersuchen inhaltlich ging, konnte nicht eindeutig geklärt werden, da Bundeswehr und Landesregierung laut Pressemeldungen einander widersprachen. Dabei ist jede Art von Amtshilfe durch die Bundeswehr nicht nur juristisch äußerst schwierig, sondern auch fatal für Geflüchtete, die meist vollkommen traumarisiert durch die Umstände ihrer Flucht in Europa ankommen. Dabei wäre eine Lösung der Probleme nicht schwierig. Ein europäisches Land hat es bereits vorgemacht, wie man in der Corona-Krise adäquat reagiert, um Geflüchtete und die Gesamtbevölkerung zu schützen: Bereits im März hat Portugal die Regelung getroffen, dass  mindestens bis zum 1. Juli alle Menschen in Portugal, Geflüchtete, Menschen, die keine Krankenversicherung haben, in die Sozial- und Krankenversicherung aufgenommen werden. Die Geflüchteten dürfen nun arbeiten, ein Bankkonto eröffnen, sie haben Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die inhumane Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist also keineswegs alternativlos.

Aufgrund meiner persischen Muttersprache kann ich mit meinen iranischen und afghanischen Mandanten sehr gut kommunizieren; meine eigene Fluchtbiographie ermöglicht es mir, die Sorgen, Ängste und Alltagsschwierigkeiten meiner Mandanten besser zu verstehen. Vor vielen Jahren waren meine Eltern in die Bundesrepublik eingereist, als Kind habe ich die Ängste meiner Eltern gespürt. Es ist mir ein Anliegen, meine Mandanten auch selbst zu Wort kommen zu lassen, da Geflüchtete in der Flüchtlingsdebatte der letzten Jahre ausschließlich als reine Statistik wahrgenommen oder zu Objekten degradiert werden, um eigene stereotype Wahrnehmungsmuster zu bedienen. Ich möchte wenigstens zwei meiner Mandantinnen zu Wort kommen lassen: »In unserer Unterkunft können die Sicherheitsabstände und die Regeln zur Eindämmung des Corona-Virus nicht eingehalten werden. Wir haben alle wahnsinnige Angst. Ich habe erst eine Krebs-Diagnose bekommen, wurde operiert, muss erneut operiert werden. Ich habe einfach nur noch Angst, weil wir hier von der Heimleitung nicht als Menschen behandelt werden.« »Wir sind froh, dass wir gesund angekommen sind, möchten hier arbeiten, Teil der Gesellschaft werden, aber man lässt uns nicht, wir verstehen nicht, warum.«

Die Mehrheit meiner Mandanten waren in ihren Heimatländern lohnabhängige Menschen, die dort bereits ausgebeutet und/oder politisch verfolgt wurden und hier in Deutschland während des Asylverfahrens als Menschen 2. Klasse behandelt werden. Sie haben die gleichen Interessen wie alle lohnabhängigen Menschen hier in Deutschland und weltweit: ein menschenwürdiges Leben! Und genau das wird ihnen verwehrt. Solidarität mit Geflüchteten, in den Zeiten von Corona, kann unsere einzige Antwort sein.

Eine praktische Hilfe könnte zur Zeit sein, mit Geflüchteten gemeinsam Anträge auf Befreiung der Wohnpflicht in Massenunterkünften zu stellen. In den letzten Tagen haben bislang zwei Gerichte entsprechenden Eilanträgen stattgegeben. Mit der Begründung, dass gerade auch in Flüchtlingsunterkünften die Verhinderung der Ausbreitung des Corona-Virus zwingend notwendig sei und die notwendigen Schutzmaßnahmen und Anordnungen zur Einhaltung der Mindestabstände nicht feststellbar seien.