Das Buch versammelt und diskutiert Formen künstlerischen Handelns, die in die Nachwirkungen des Nationalsozialismus intervenieren bzw. diese nachhaltig zu stören versuchen.
Der Titel des Buchs bezieht sich dementsprechend auch auf eine bereits stattgefundene Intervention: „Im Jahr 2008 wurde in Berlin eine Filiale des Wachsfigurenkabinetts Madame Tussauds eröffnet. Unter den Wachsfiguren fand sich unvermeidlich auch ein Adolf Hitler, der den Wachskopf grantig über den Schreibtisch beugte. Den riss ihm wenige Minuten nach Eröffnung ein Besucher mit den Worten ‚Nie wieder Krieg’ ab. Henryk M. Broder, berichterstattend vor Ort, tat seine Meinung kund: das ‚erste gelungene Hitlerattentat’ müsse nicht bestraft, sondern belohnt werden und der Kopfabreißer selbst im Wachsfigurenmuseum ausgestellt werden. Wenige Wochen später saß ein neuer Wachshitler am Schreibtisch – hinter Glas und mit merkwürdig stresszerzaustem Haar.“, so die Herausgeberinnen im Vorwort.
Der Titel, so die Herausgeberinnen zu Anfang der Buchpräsentation, stelle aber zugleich die Frage, welchen „Schaden“ ein solcher „Bildersturm“ tatsächlich anrichten könne: „Die zentrale Frage dieses Buches ist die nach künstlerischen und kulturellen Politikformen, die in jene ungestörten gesellschaftlichen Zufriedenheiten einschreiten, die sich mit Beendigung des nationalsozialistischen Regimes, aber nach einem unvollständigen Bruch mit seinen gesellschaftlichen Voraussetzungen eingestellt haben.“
Im Rahmen des langjährigen geschichtspolitischen Aktivismus der beiden Herausgeberinnen, so betonten sie, ergab sich die Notwendigkeit, Kategorien und analytische Werkzeuge zu entwickeln, um zu klären, in welcher Form der Nazismus (und das, was ihn ermöglicht hat) bis heute nachwirkt. Die Herausgeberinnen prägen dafür den Begriff „Postnazismus“: „Wir benennen die Mehrfachsituation, in der mit dem Nationalsozialismus gebrochen wurde, er aber dennoch fortwirken kann und gleichzeitig ein Umgang mit seinem Erbe gefunden werden muss, als Postnazismus. Post-, weil diese Vorsilbe erlaubt, ein zeitliches Danach zu beschreiben, das nicht ohne Einfluss seiner Geschichte bleibt.“
Die Herausgeberinnen präsentierten jeweils ein Beispiel aus den 9 Kapiteln der 368 Seiten starken Publikation, die im Wiener Mandelbaum Verlag erschienen ist.
In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere das Verhältnis österreichischer postnazistischer Verhältnisse und jener in der Bundesrepublik diskutiert bzw. welche Konsequenzen diese Unterschiede für eine geschichtspolitische Praxis bedeuten. Bolyos und Morawek formulierten in diesem Zusammenhang eine Kritik an künstlerischen Formen, einer abschließenden „Vergangenheitsbewältigung“ Vorschub leisten.
Zur Debatte standen hier insbesondere die politischen Strategien, die die Herausgeberinnen im Buch vorschlagen: den postnazistischen Konsens kontinuierlich zu stören, anstatt „Erinnerung“ in Form standardisierter Gedenkstätten oder Denkmäler zu verwalten. Der in Deutschland zu beobachtenden „Erinnerungsstolz“, in dem Formen des historisierenden und abschließenden Gedenkens eine größere Rolle spielen als das „Gedenken und Mahnen“, werde das nationale Narrativ an vorderste Stelle gehoben, die Situation sei strukturell auf eine Befriedung von erinnerungspolitischen Konflikten angelegt. In Österreich sei dieser Prozess aufgrund des späten Aufbrechens der „Opferthese“ sowie einer sehr unzureichend erfolgten personellen und mentalen Entnazifizierung verzögert.
An beiden Orten sei es jedoch notwendig, präzise formulierte Fragen nach dem gedanklichen und materiellen Erbe des Nationalsozialismus zu stellen. Es gelte zu klären, in welcher Form Kontinuitäten aus dem NS nach wie vor die Gesellschaften durchziehen. Konkret bedeute dies auch, eine geschichtspolitische Haltung sowie (künstlerische) Formen zu entwickeln, die nicht glatt und widerspruchsfrei bleiben, sondern sich in Konflikte einbringen. Bolyos und Morawek erwähnten hier das Negativbeispiel der beliebten Form der Plexiglastafel, die als jederzeit reversible Form des Kommentars zu jedem als „problematisch“ erkannten Denkmal oder Gebäude hinzugestellt werden kann, in einer „Post-Histoire“, in der sich keine_r mehr für die Zukunft verbürgen will. Es ginge um Formen der Erinnerung, die das Reden über die Vergangenheit einerseits als politischen Aushandlungsprozess versteht, erinnerungspoltitische Konflikte ernst nimmt und aufnimmt, so die Herausgeberinnen.
Weiters forderten Bolyos und Morawek einmal mehr Transnationalität in geschichtspolitischen Debatten. Dies bedeute, die Folgen nationalsozialistischer Herrschaft über die Grenzen der Länder der Täter_innen hinaus zu betrachten. Dazu gehöre aber auch die Berücksichtigung von Ländern des Exils sowie der Kollaboration oder Okkupation. Die Betrachtung von Kontinuitäten unter nationalen Gesichtspunkten könne jedoch nicht leitend für eine progressive geschichtspolitische Praxis sein.
Bolyos und Morawek betonten die Notwendigkeit, in der Analyse genau zu bleiben und von Parallelisierungen Abstand zu nehmen, aber auch die Notwendigkeit, ausgehend von unterschiedlichen Erfahrungen – etwa der Geschichte des Nazismus und jener des Kolonialismus – solidarisch miteinander zu kämpfen. Andockstellen für solche Kämpfe in einer Gesellschaft zu schaffen, in der eben nicht alle Beteiligten Kinder oder Enkelkinder von Opfern oder Täter_innen des NS sind, sei letztlich auch eine der grundlegenden Motivationen der Herausgeberinnen gewesen, an diesem Buch zu arbeiten.