Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Shoah und linkes Selbstverständnis - Deutsch-deutsche Geschichte - Antisemitismus und Nahost global - Theorie des Antisemitismus Ein Jahr 7. Oktober; Gießen 2025

Traumata, Sozialpsychologie – und Antisemitismus

Information

Freie Assoziation, die Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie publiziert halbjährlich Schwerpunkthefte und verfolgt dabei ein besonderes Konzept. Pro Ausgabe werden zwei bis drei Hauptartikel veröffentlicht, die im selben Heft von verschiedenen AutorInnen kurz kommentiert werden, im April 2025 verspätet erschienenen Heft 2/2024 sind dies neun Kommentare.

Alle Beiträge dieses Heftes versuchen die Ereignisse des 7. Oktober 2023 und deren psychisch erschütternde Folgen für verschiedene Generationen und deren, im wahrsten Sinne des Wortes: Selbstverständnis (als Vorstellung vom eigenen Sein in der Welt) zu bearbeiten – und zu verarbeiten. Im Fokus steht dabei besonders die jüdische Enkelgeneration, also die Enkel der Holocaust-Überlebenden, in Israel, wie auch in der Diaspora.

Elisabeth Brainin und Samy Teicher beschreiben die Retraumatisierung und die Vernichtung von Sicherheit durch die reale Tötung, die massenhaft erfolgte, durch die sexualisierte Gewalt und Folter, die am 7. Oktober dokumentiert und (live) mit genau der Absicht dieser Vernichtung verbreitet wurde. Mit den Folgen komme es nun auch zu einem veränderten Blick der Enkel auf die Geschichte der eigenen Vorfahren, wie auch der Blick auf die nicht nur individuellen Folgen der Shoah seit dem 7. Oktober 2023 jetzt neu ausgerichtet werden müsse. Robi Friedman beschreibt mit dem von ihm entwickelten Konzept der Soldatenmatrix ein starkes und dynamisches emotionales Schema (in) der israelischen Gesellschaft, das aus dem Dreieck aus existenzieller Angst, Überleben und Ehre (Glory) bestehe. Ein Schema, das tief eingeschrieben ist, und nun reaktiviert worden sei.

Alle Beiträge zeigen, unabhängig vom Fokus, dem Grad der Zuspitzung und ihrer Länge, wie sehr die «genozidale Botschaft» (Dan Diner) des 7. Oktober die Zeit in ein Davor und Danach unterteilt, und welche Folgen dies hat. Folgen die nur schwer in Worte zu fassen sind. Primo Levi meinte einmal, die Geschichte sei für die Überlebenden der Shoah stehengeblieben. ist es – zumindest für die «Betroffenen» – wieder so? Erschwert wird die Situation (zumindest in Deutschland und Österreich) noch dadurch, dass es keine Gemeinsamkeiten in den familiären Narrativen der wenigen (jüdischen) Überlebenden des Nationalsozialismus und der der (in der Regel deutschen) Täter gibt (S. 19).

Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie (Hrsg.): Ein Jahr 7. Oktober; Freie Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie, 27. Jg., Heft 2/2024, Psychosozial Verlag, Gießen 2025, 130 Seiten, 22,90 Euro

Hinweis: Zur Sozialpsychologie des antisemitischen Wahns siehe auch den Beitrag von Rolf Pohl (Hannover): Der antisemitische Wahn. Aktuelle Ansätze zur Psychoanalyse einer sozialen Pathologie, in www.kritiknetz.de, 6. April 2023, Zugriff 5. Mai 2025.