Nachricht | Lektüretipp zum 8. März: »Zusammenkunft« von Natasha Brown

Ein Roman über Feminismus, Rassismus und Klassenverhältnisse

Natasha Brown © Hill & Aubrey /Suhrkamp Verlag

»Es ist so viel einfacher für euch Schwarze und Hispanics«, bekommt die Erzählerin in Natasha Browns Debütroman »Zusammenkunft« nach ihrer Beförderung von einem Kollegen vorgehalten. »Er sagt, aus diesem Grund habe man mich qualifizierten Typen wie ihm vorgezogen. Er sagt, dass er nichts gegen Diversität hat. Er will einfach nur Gerechtigkeit, okay?« Die namenlose Protagonistin hat an einer Eliteuni studiert und sich in der Londoner Finanzbranche nach oben gearbeitet, und doch muss sie sich mit dem Neid und den Projektionen ihrer Umwelt auseinandersetzen. Schlimmer noch: Sie hat diese Projektionen so tief verinnerlicht, dass sie die Ansprüche an sich selbst immer höher schraubt: »Arbeite doppelt so hart. Sei doppelt so gut. Und immer, pass doch an.« Niemals gelingt es ihr, sich selbst zu genügen, stets denkt sie die Möglichkeit des eigenen Scheiterns mit: »Jeder Tag ist eine Möglichkeit, es zu versauen. Jede Entscheidung, jedes Meeting, jeder Report. Es gibt keinen Erfolg, nur das vorläufige Abwenden des Versagens. Angst.«

Ihre Familie stammt aus Jamaika, das sie selbst nur aus Erzählungen kennt, sie hat sich auch von den prekären Verhältnissen emanzipiert, in denen sie aufgewachsen ist. Wichtiger als ihr Selbstbild ist es, was ihr Upper-Class-Freund in ihr sieht: »Mein Stil, mein Auftreten, mein leicht affektierter City-Akzent, all das hat ihn angezogen. Er konnte die Person sehen, die ich da erschuf.« Das Erschaffen einer Person, eines Habitus, einer Erscheinung, ist das Thema von »Zusammenkunft«, das Nachahmen und Aneignen, das Studieren von kulturellem Kapital: »Ich lerne, was ich zu tun habe. Wie ich zu leben habe. Was mir gefallen sollte. Ich schaue zu, ich ahme nach.« Ihr Lebensgefährte stammt aus einer Familie mit einem langen Stammbaum, mit einer »kuratierten Geschichte« voller Dokumente, Ölbilder, Landsitze und in Leder gebundene Bücher. Und obwohl die Protagonistin sich bewusst ist über die Funktionsweise von Rassismus, das Nachleben des Kolonialismus und »die feinen Unterschiede«, sie bell hooks und Pierre Bourdieu zitiert, kann sie sich jedoch nicht von der tief sitzenden Verunsicherung durch die eigene Herkunft befreien. Nach einer Krebsdiagnose scheint ihr der einzige Weg der Tod zu sein, gekämpft hat sie in ihrem Leben genug. »Weiterzumachen, jetzt, wo ich die Wahl habe, heißt, sich für die Mittäterschaft zu entscheiden« – eine Mittäterschaft im Spiel, es »zu schaffen« oder zu scheitern. Stattdessen legt sie ihr Geld für ihre Schwester an, damit diese frei ist, von den Kämpfen, die ihr es unmöglich gemacht haben, sie selbst zu werden.

Natasha Brown: Zusammenkunft. Suhrkamp: Berlin 2022.

Jonas Engelmann