Nachricht | Work in Progress IX. Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie.

Wir begleiten die Autorin Veronika Kracher bei der Entstehung ihres Buches über Incels.

Die Autorin und Journalistin Veronika Kracher. Foto: Dennis Pesch

Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge. 

Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher,  sind  Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen. 

Nachdem wir in der vergangenen Woche mit Veronika Kracher über Pick-up-Artists, Maskulinisten, die profeministische Männerberwegung und die Bedeutung von Begriffsarbeit am Beispiel »toxische Männlichkeit« gesprochen haben, geht es in dieser Woche um die Schnittstellen von Alt-Right und Maskulinisten, Rassismus und die Psyche von Incels. 

Lass uns noch einmal auf die Schnittstellen von Incels und Alt-Right zurückkommen: Die Alt-Right ist, ebenso wie die Neue Rechte in Europa, antifeministisch, antisemitisch und rassistisch, Incels sind antifeministisch mit Hang zu Antisemitismus. Über den Rassismus der Incel-Community haben wir noch nicht gesprochen, spielt das dort eine Rolle? Die Community ist ja vermutlich nicht sehr divers, oder?

Wider Erwarten ist sie es doch, zumindest wenn man einer Umfrage auf incels.co Glauben schenken mag: lediglich 55 Prozent der Befragten geben an, weiß zu sein, die anderen 45 Prozent sind ethnisch recht divers. Das ändert nichts daran, dass Rassismus, vor allem gegen Schwarze, innerhalb der Community virulent ist. Dies drückt sich auf mehreren Ebenen aus. Erstens haben wir einen sexualisierten Rassismus, der sowohl Männer, als auch Frauen betrifft. »Chads« unterschiedlicher ethnischer Herkunft werden mit rassifizierten Namen benannt, der diese Herkunft benennen soll; arabische Chads heißen zum Beispiel »Chaddam«, asiatische »Chang Longwang«, schwarze Chads tragen den Namen »Tyrone« und werden in der Regel als Gangster oder Drogendealer dargestellt. Bei Frauen fallen Sexismus und kolonialrassistische Zuschreibungen auf nichtweiße Frauen zusammen. Schwarze Frauen werden als laut, unweiblich und triebhaft dargestellt, asiatische Frauen hingegen als die perfekte submissive Liebhaberin für den weißen Mann. Die meisten weißen Incels sind offen Rassisten oder White Supremacists, und diese geben sich auch Mühe, innerhalb der Foren ihre rassistische Ideologie weiter zu verbreiten und andere davon zu überzeugen. Nichtweiße Incels hängen außerdem einem internalisierten Rassismus an und bezeichnen sich beispielsweise bei indisch-pakistanischer Herkunft selbst als »Currycel«. Sie sind der Ansicht, Frauen würden keine Beziehungen mit ihnen beginnen, da ausnahmslos Frauen Rassismus internalisiert hätten, und nur weiße Männer attraktiv finden würden. Es ist durchaus der Fall, dass in rassistischen Gesellschaften sich ein internalisierter Rassismus auf Schönheitsideale auswirkt, aber wie alles in der Incel-Ideologie wird ein Körnchen Wahrheit, das sich anhand einer kritischer Gesellschaftstheorie begründen lässt, auf eine wahnhafte Spitze getrieben. Und während nichtweiße Incels diesem Glauben anhängen, vertreten weiße Incels wiederum die klassische Nazi-These, dass Frauen schwarze oder arabische Männer begehren, die natürlich nichts anderes sind als eine rassistisch und sexualisiert aufgeladene Projektionsfläche für die eigenen Sexualneurosen.

Oder Konkreter: wie haben denn Maskulinisten, Incels und Konsorten auf z.B. die gesellschaftlichen Debatten um die Silvesternacht in Köln 2015/16 reagiert? Vermutlich anders als auf Zahlen zu häuslicher Gewalt in Deutschland…

In Bezug auf Incels speziell lässt sich auf die Silvesternacht recht wenig sagen, da deutschsprachige Debatten in den Foren nur am Rande geführt werden. Da bei Incels antisemitische Verschwörungstheorien und ein elimatorischer Frauenhass, und Schadenfreude über weibliches Leid zusammenkommen, vermutlich folgendes: Natürlich sind jüdische Kräfte daran Schuld, dass geflüchtete Männer nach Europa kommen, und hier den »Großen Austausch« vollziehen, wozu zählt, dass sich nichtweiße Männer an der weißen Frau vergehen. Beide dienen hier natürlich als stellvertretende Projektionsflächen – der arabische Mann als jemand, dem man eine vermeintlich noch nicht durch die PC-Lobby verweichlichte, »ursprüngliche«, patriarchale Sexualität neidet, die weiße Frau als Stellvertreterin der deutschen Nation, die man zu schützen hat – nur, um ihr nachher selbst sexuelle Gewalt anzutun, selbstverständlich, denn eigenständige Sexualität hasst man nun einmal. Bei Incels kommt jedoch dazu: sie hassen Frauen so sehr, dass sie sich immer darüber freuen, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Diese Frauen sind in der Regel selbst daran Schuld, dass sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, auf Partys gehen, oder von einem Dating-Partner unter Drogen gesetzt und vergewaltigt werden. Und sie haben es auch nicht besser verdient. Hinzu kommt, dass Incels der Ansicht sind, dass das triebhafte und hypergame Weib, das seit ihrer Pubertät regelmäßig Sex mit Chads hat, gar nicht vergewaltigt werden kann – es ist nur ein weiterer Penis, so schlimm wird es nicht sein. Oder sie empfindet tatsächlich Freude daran, von Chaddam vergewaltigt zu werden, weil dies in der weiblichen Natur liegt. Nur eines kommt nicht vor: Empathie mit Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben.  

Nach allem was ich nun von dir gehört habe, würde ich gerne abschließend noch einmal auf die Psyche der Incels zurückkommen, die mir von sehr viel Selbsthass gezeichnet zu sein scheinen. Wie würdest du diese ständigen Selbstbetrachtungen und Abwertungen des Ich verbunden mit Projektionen auf Frauen charakterisieren?

Das Selbstbild von Incels ist von oftmals schwer aushaltbaren Widersprüchen gekennzeichnet. Elliot Rodger schrieb in seinem Manifest abwechselnd davon, ein »Supreme Gentleman«, als auch davon, »unwürdig« zu sein, jemals von einer Frau begehrt zu werden. Der gleiche Tenor wird heute auf Foren widerholt. Man schwankt dazwischen, als Vertreter der »Blackpill«-Ideologie zu den wenigen erleuchteten der Welt zu zählen, deren Mechanismen durchschaut zu haben, und dafür, so die eigene Ansicht, es verdient zu haben mit Zuneigung, Sex und Anerkennung belohnt zu werden. Gleichzeitig ist man von Depressionen und Selbsthass zerfressen. Incels machen einen Großteil ihres Selbstwertgefühls an der Anerkennung durch Frauen fest, und sich also komplett davon abhängig – was Frauen natürlich in eine ungewollte Machtposition bringt, von der diese nichts wissen. Und dass eine Frau einem dahergelaufenen Incel die abverlangte Zuneigung nicht entgegenbringt, ist eine nicht auszuhaltende Kränkung. Man wird nicht begehrt, und dieser Mangel an Begehren übersetzt sich einerseits in Selbsthass, andererseits in Strafbedürfnis. Und selbst wenn einem eine Frau Zuneigung entgegenbringt, wird diese direkt abgelehnt, was sich in Aussagen wie »Sie flirtet nur mit dir, um dir zu zeigen, was dir entgeht!« oder »Sie nimmt sich heraus, dir ein Kompliment zu geben, was bildet sich diese eingebildete Kuh eigentlich ein« artikuliert. Incels haben sich ein Loch gegraben, aus dem es schwer ist, wieder herauszukommen, und das positive Affirmation gar nicht erst zulässt. Hinzu kommt die Toxizität der eigenen Community. Auf jedem einzelnen Forum wird einem vor Augen gehalten, dass man unattraktiv und nicht liebenswert sei. Es gibt Foren, die sich dem »Looksmaxxing« verschrieben haben, also dem Verbessern des eigenen Äußeren durch Sport und plastische Chirurgie. Dort posten User Bilder von sich, um sich von anderen bewerten und Tipps geben zu lassen, wie sie das eigene Aussehen verbessern können. Einander bestätigen, dass man doch eigentlich ganz gut aussehe, und das Problem ein Mangel an Selbstliebe ist, sucht man dort vergeblich. Mich selbst erinnern diese Foren etwas an Pro Ana-Foren, in denen sich magersüchtige Mädchen untereinander Abnehm-Tipps geben und gegenseitig erzählen, wie fett sie doch seien. Ein Artikel in der Zeitschrift »The Cut« berichtet von einem User des Incel-Forums »lookism.net«, der 30.000 Dollar in plastische Chirurgie investiert hat! Und dass sich User gegenseitig den Suizid nahe legen, ist auch keine Seltenheit. Es ist nicht verwunderlich, dass der Großteil der Incel-Community sich als depressiv bezeichnet und angibt, unter Angststörungen oder gar Körperdysphorie zu leiden. Incels sind, anders als sie behaupten, mitnichten eine Selbsthilfecommunity, sondern ein toxischer Kult, der nicht nur Frauen, sondern auch den eigenen Mitgliedern gegenüber extrem schädlich ist. Therapie lehnen sie jedoch ab, da diese als »jüdische Erfindung« begriffen wird, um den aufgeklärten Blackpiller wieder in einen Normie zu verwandeln, und da diese einem ohnehin nicht zu Sex verhelfen würde – das einzige, was einem Incel aus dessen Misere helfen würde, was natürlich eine komplett irrationale Erwartungshaltung an Sex ist. Als ob einmal Sex ein Wunderheilmittel gegen das jahrelange Internalisieren einer derart toxischen Ideologie sei!

Zum Abschluss die Frage: Hat dich die Beschäftigung mit Incels verändert? Blickst du anders auf die Welt?

Stellenweise ist es schwer, eine professionelle Distanz zu wahren, gerade in Bezug auf die Auseinandersetzung mit psychischen Krankheiten. Ich selbst bin klinisch depressiv, und war über einen längeren Zeitraum meines Lebens an einem ziemlich dunklen Ort. Selbsthass und Suizidalität sind mir nicht fremd. Ich kenne es, anstatt Kritik und Selbstkritik zu üben und meine durch meine Depressionen und Neurosen verzerrte Weltsicht kritisch zu hinterfragen, sich einzuigeln, selbst zu entmündigen, und zu sagen, dass ohnehin alles keinen Sinn hat. Es ist bequem. Und stellenweise transportiert mich die Arbeit zu Incels wieder in diese Orte zurück. 

Dazu kommt, dass in der Incel-Ideologie auch ein Kern Wahrheit steckt. Natürlich haben Menschen, die hegemonialen Schönheitsidealen entsprechen, Vorteile. Natürlich werden unattraktive Jugendliche in der Schule gemobbt. Ignoriert wird dann aber, dass diese Schönheitsideale ein gesellschaftlich vermitteltes Herrschaftsinstrument sind, um eine Mode- und Kosmetikindustrie am Laufen zu halten – die seit Jahrhunderten von weiblichen Selbstzweifeln angetrieben wird, und Männer erst seit einigen Jahrzehnten als weiteres Opfer entdeckt hat. Auch wird ignoriert, dass Mobbing primär Ausdruck binnenmännlicher patriarchaler Gewalt ist, in dem hegemoniale Männlichkeiten ihre Vorherrschaft über marginalisierte Männlichkeiten exerzieren – ich würde allen Incels anraten, Raewyn Connell zu lesen anstatt in ihren Foren. Aber anstatt über den Tellerrand ihrer Ideologie hinauszuschauen und zu realisieren, dass nicht etwa Frauen oder Chads an dem Elend der Incels Schuld sind, sondern ein neoliberales Schweinesystem, das Mitverantwortung trägt für den Selbsthass und die Vereinsamung, denen sie unterliegen. Aber naja, das prädisponierte Feindbild Frau zu hassen ist leider nun einmal leichter als Gesellschaftskritik.

Mich lässt meine Arbeit oft sehr traurig zurück: es tut so weh zu wissen, dass in diesen Foren Männer heranwachsen, die sich und Frauen so viel Gewalt antun, und vor allem Frauen gegenüber zu einer lebensbedrohlichen Gefahr werden können. Vor einigen Tagen erst hat man erkannt, dass der Mord eines gerade erst 17 Jahre alten Jungen an einer Sexarbeiterin die Tat eines Incels war. Um diese Gefahr einzudämmen, kommen wir nicht umhin, eine radikale, kritische Jungenarbeit zu leisten, und im besten Falle jene neoliberal-kapitalistischen, patriarchalen Verhältnisse, die Incels hervorbringen, generell zu überwinden.