Nachricht | Work in Progress III. Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie.

Wir begleiten die Autorin Veronika Kracher bei der Entstehung ihres Buches über Incels.

Das Riot Grrrl Klaus Theweleit Foto: Sonja Vogel

Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge. 

Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher,  sind  Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen. 

Nachdem wir sie in der vergangenen Woche  nach ihrem persönlichen Backgorund befragt haben, drehen sich die Fragen in dieser Woche um den theoretischen Hintergrund ihrer Arbeit. 

Die Abwertung des Weiblichen bis hin zu Gewaltfantasien und realen Morden sind den Incels eingeschrieben, aber woher kommt dieses Weltbild? Was ist die Ursache dieser Projektionen, wenn man das überhaupt pauschal beantworten kann?

Da müsste ich relativ weit ausholen. Die Ursache dieser Projektion ist natürlich im Patriarchat verortet, das laut der Historikerin Gerda Lerner über den Zeitraum von 3100 bis 600 vor Christus gewalttätig etabliert wurde, vor allem über das Prinzip des Frauentauschs, Sexsklaverei und Zwangsprostitution; mit dem Ziel, den weiblichen Körper und die Reproduktionsfähigkeit zu kontrollieren. Die moderne Abwehr des weiblichen als Gegenpol zum Männlichen kam mit der Entstehung des sogenannten »Geschlechtscharakters« auf; das war Mitte des 19. Jahrhunderts, der als Gegenmoment zur Emanzipationsbewegung eingeführt wurde. Der Geschlechtscharakter besagt, dass Frauen gar nicht außerhalb der Reproduktionssphäre und als Subjekte im öffentlichen Leben tätig sein können, da sie aufgrund ihrer Biologie schlicht nicht dazu in der Lage seien. Elliot Rodger schreibt in seinem Manifest, dass Frauen nicht mit ihrer Freiheit umgehen könnten und deswegen die patriarchale Kontrolle bräuchten; was aus diesem Geschlechterbild rührt, würde ich sagen – interessant ist, dass weibliche Sexualität von Männern entweder als »tierisch« und »unkontrolliert« beschrieben wurde, dann wieder als »kalt« und »lustlos« – je nachdem, welches Narrativ gerade besser gepasst hat. 

Laut dem Geschlechterforscher Rolf Pohl rührt die Angst vor und die daraus resultierende Begründung der Notwendigkeit der Kontrolle von weiblicher Sexualität daher, dass heterosexuelle Männer sich von ihrem Begehren Frauen gegenüber kontrolliert und bedroht fühlen: sie müssen sich Frauen zu eigen machen, um so dieser Kontrolle wieder Herr werden zu können. Und dann natürlich noch, dass sich eben Männlichkeit über die Abwehr des Nicht-Männlichen konstituieren muss; dass man sich also des Mann-Seins vergewissern kann, in dem andere durch Unterdrückung, Ausbeutung, Diskriminierung und Gewalt zu Nicht-Männern macht. Das betrifft nicht nur Frauen, sondern auch queere Menschen. Frauen sind »Das Andere« die Männer alleine schon qua ihrer Existenz auf all die Neurosen und Konflikte, die Mannsein so mit sich bringt, und die immer wieder aufs neue vor sich und anderen bewiesen werden müssen, zurück werfen, und man beweist sich dann dieses Mann-Sein indem man ihnen Gewalt antut. Das bedeutet hegemoniale Männlichkeit in diesen beschissenen Verhältnissen nämlich: Nicht-Männern beweisen, dass man besser ist als sie. 

In deiner Auseinandersetzung mit Incels taucht als Bezugspunkt immer wieder Klaus Theweleit auf, der in seiner Studie »Männerphantasien« vom »Fragmentkörper« und den »Nicht zu ende Geborenen« spricht, unsicheren Männern, die sich bedroht fühlen vom Weiblichen. Welche Rolle spielt Theweleit für deine eigenen Analysen? Und was sind seine wichtigsten Thesen, die Du fruchtbar machen kannst?

Theweleit ist mir so ein großes intellektuelles Vorbild, als ich gesehen habe dass er einen Text von mir in der Neuauflage der „Männerfantasien“ zitiert hat, habe ich vor Freude angefangen zu quietschen. Ich würde sagen, für meine Arbeit sind seine Thesen des »Fragmentkörpers« und die der im »Lachen der Täter« ausgeführten »Protodiakrise« von Belang.

Theweleit beschreibt die »Nicht zu Ende geborenen Männer« als Menschen, die nie einen fertigen Subjektstatus entwickelt haben. Er vergleicht ihn anhand der Schriften der Kinderpsychologinnen Melanie Klein und Margaret Mahler mit dem Subjektstatus eines »psychotischen Kindes«, die permanent in »ständiger Angst hereinbrechender unlustvoller symbiotischer Zustände leben, aus denen sie sich nie richtig herausentwickeln können« (Theweleit). Diese  »Fragmentkörper« leben in ständiger Angst vor dem Zerfall. Alles, was um sie herum passiert, insbesondere alle Formen von Lebendigkeit oder Fremdheit, versuchen sie von sich fernzuhalten, zu kontrollieren, zu unterdrücken, weil diese sie »bedrohen«. Diese Männer leben in einem Zustand permanenter narzisstischer Kränkung durch die bloße Existenz des Anderen, sie fühlen sich andauernd bedroht, auf ihre eigene Ich-Schwäche zurück geworfen. Diesem drohenden Verfall muss mit Bestrafung bis hin zur Vernichtung begegnet werden, um sich selbst wieder als Mann fühlen, den »Körperpanzer« wieder anlegen zu können. Man muss jene, von denen diese Kränkung, nämlich die Erfahrung trotz Hautfarbe oder Geschlecht nicht mehr die Krone der Schöpfung zu sein, sondern halt ein ganz normaler Versager wie so viele andere auch, bestrafen.

Incels sind zwar nicht diese soldatischen Männer, die Theweleit beschreibt, die »den Krieg kennen lernen bevor sie Frauen kennen«, und denen deshalb eine Ich-Entwicklung versagt bleibt; sie versagen sich diese meines Erachtens selber: indem sie sich in ihre Online-Echokammern zurück ziehen, sich einen Körperpanzer aus extrem toxischen Zynismus zulegen, und jegliche Empathie anderen gegenüber von sich abspalten. Incels steigern sich in eine krasse Selbstinfantilisierung, indem sie sich in der eigenen vermeintlichen Unmündigkeit, nichts an ihrer Situation ändern zu wollen, suhlen. Sie haben eine richtig ausgeprägte Ich-Schwäche, sind »Nicht zu Ende geborene«.

Diese Selbstzurichtung, Emotionalität und Empathie von sich abszuspalten, ist für den Vorgang der sogenannten »Protodiakrise« unumgänglich: Täter müssen von sich selbst abspalten, dass es sich bei ihren Opfern um Menschen, um Subjekte handelt, so fällt ihnen die Tat leichter. Dies hat eben eine Selbstzurichtung zur Vorbedingung. Theweleit schreibt: »Protodiakrise bezeichnet den Daseinszustand von Menschen, die unter der Störung leiden, nicht zwischen tot und lebendig unterscheiden zu können« – und Incels haben Frauen, die als »hole«, »femoid« oder »toilet« tituliert werden, das Menschsein abgesprochen. »Er«, fährt Theweleit fort, »scheint den Übergang vom Lebenden ins Tote zu ‚lieben‘, er scheint es zu ‚lieben‘, diesen Übergang herzustellen. Es ist, als würden sie – denn die Männer handeln meist in Verbänden – sich des eigenen Lebens versichern, indem sie andere töten.« Incels malen sich in ihren Foren misogyne Vernichtungsfantasien aus; um sich über die vermeintlichen Kränkungen, die Frauen ihnen zugefügt haben, zu ermächtigen (das nennen sie »Lifefuel«, also: etwas was mir Lebensfreude gibt). Gerade diesen Begriff, »Lifefuel« halte ich ziemlich bezeichnend für das, was Theweleit als »Prododiakrise« bezeichnet.

Welche weiteren Theoretiker sind für deine Arbeit von zentraler Bedeutung und warum?

Neben Theweleit ist da der bereits erwähnte Rolf Pohl, der in seiner Schrift »Feindbild Frau« sozialpsychologisch analysiert, inwieweit sich heterosexuelle Männer von weiblicher Sexualität bedroht und kontrolliert fühlen, und diese deshalb beherrschen müssen. Kate Manne, die in »Down Girl« die Funktion von Misogynie beschreibt: als Kontrollmechanismus, um patriarchale Strukturen aufrecht zu erhalten. Ich halte die »Studien vom autoritären Charakter« von Theodor Adorno und Else Frenkel-Brunswick, und generell Literatur zur autoritären Persönlichkeit für eine gute Herangehensweise, um die konformistische Revolte, die Incels ja herbeisehnen, zu analysieren. Karin Stögner, weil sie das Verhältnis von Antifeminismus und Antisemitismus erforscht, was vielleicht nicht speziell bei Incels so wichtig ist, aber generell für eine Analyse der Neuen Rechten und Alt-Right – allerdings gingen Antisemitismus und Antifeminismus schon seit der Entstehung der Moderne Hand in Hand miteinander einher, man denke an Otto Weininger! Und natürlich Raewyn Connell, die in ihrem »Der gemachte Mann« binnenmännliche Gewalt über die Abwertung des »weniger« oder »anders« Männlichen erläutert. Letztendlich aber auch Klassiker wie Sigmund Freud oder Karl Marx, die zumindest immer mitschwingen, und vor allem deren feministische Weiterentwicklungen: Jessica Benjamin, oder eben marxistische Feministinnen. 

In »Sex Revolts« von Joy Press und Simon Reynolds versuchen die beiden die Musikgeschichte – wiederum auf Basis der vorarbeiten von Theweleit in »Männerphantasien« – noch einmal gegen den Strich zu lesen und den Frauenhass herauszustellen, der der Rockmusik gewissermaßen strukturelle innewohnt. Sie zeigen auf die Frauenmordfantasien bei Nick Cave, den Sexismus der Stranglers oder die pädophilen Neigungen von David Bowie oder Iggy Pop und versuchen diesen Bildern psychoanalytisch auf den Grund zu gehen. Welche Rolle spielt die Popkultur, die ja ziemlich unreflektiert und direkt mit solchen Projektionen auf das Weibliche arbeitet, für die Entstehung der Incel-Ideologie?

Kulturindustrie ist ja immer Ausdruck einer herrschenden Ideologie – auch wenn kulturindustrielle Produkte durchaus die Möglichkeit zur Subversion haben, Beispiele sind »Mad Max – Fury Road« oder die Pet Shop Boys. Wir leben in einem patriachal strukturierten Kapitalismus, in dem patriarchale Ideologie auf allen Ebenen reproduziert wird, und Männer im Besitz der Produktionsmittel sind, also kulturindustrielle Produkte auf den Markt bringen. Und weil Männer sich nunmal eher für ihre eigenen Narrative interessieren als die von Frauen, und die Erzählungen von Frauen auch über Jahrhunderte hinweg aktiv unsichtbar gemacht wurden und immer noch werden, werden eben Männer-Stories auf den Markt geworfen, verkauft, besprochen, gefeiert. Bei Incels und generell dieser eher sich als »nerdig« bezeichnenden Online-Community spielt weniger Musik als Filme oder Videospiele eine Rolle. Gerade in den 80ern wurden Narrative wie die des romantisierten sexuellen Übergriffs, oder Männer, die einfach nicht locker lassen dürfen um die Frau ihrer Träume zu bekommen, geprägt, die bis heute Wirkmächtigkeit haben – sei es die misogyne Fantasie »Revenge of the Nerds« oder sei es »The big bang theory«. Der YouTube-Kanal »Pop Culture Detective« geht sehr detailliert auf diese Phänomene ein, ich empfehle seine Videos allen, die sich kritisch mit Popkultur und Geschlecht befassen wollen. 

Videospiele bedienen immer noch sexistische Narrative wie die der »Damsel in Distress« und zeigen Frauen als großbrüstige Hintergrundobjekte. Die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian hat sich kritisch damit befasst, und wurde Opfer einer gigantischen, unter dem Namen »Gamer Gate« bekannten Schmierenkampagne, die als Ursprung der Alt-Right gelten kann.  Auch die Rolle von Pornographie, die suggeriert, dass Frauen Männern sexuell einfach zur Verfügung stehen, darf nicht unterschätzt werden. Es wird eine sogenannte »Male Gaze« bedient, die den androzentrischen Blick als Normalität etabliert, und in der Frauen eben nur als Objekte vorkommen können.