Nachricht | Work in Progress II: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie

Wir begleiten die Autorin Veronika Kracher bei der Entstehung ihres Buches über Incels.

Bild: Dennis Pesch

Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge. 

Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher,  sind  Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen. 

Nachdem sie in der vergangenen Woche einige grundlegende Gedanken zum Kontext der Incel-Ideologie dargelegt hat, fragen wir in dieser Woche nach ihrem persönlcihen Backgorund. 

Wie hältst du das aus, dich so intensiv mit all diesen frauenverachtenden, gewaltvollen Texten und Videos der Incels auseinanderzusetzen, was sind deine Strategien dabei? 

Man könnte sagen: man gewöhnt sich dran. Anfangs war es schwieriger, sich permanent diesem Frauenhass und den artikulierten Gewaltfantasien auszusetzen. Zum Glück hatte ich drei Jahre lang eine sehr gute Psychoanalytikerin, und habe gelernt, mich emotional davon zu distanzieren. Anfangs haben mich graphischere Texte durchaus getriggert, aber die permanente Auseinandersetzung damit lässt eine abstumpfen – würde man dem Thema jeden Tag die angemessene Wut entgegen bringen, würde man früher oder später ausbrennen. Mir hilft das Wissen, durch die Aufklärungsarbeit hoffentlich ein Bewusstsein für dieses Problem zu schaffen und Eltern, Lehrkräfte und Jungs für die Thematik zu sensibilisieren; ich weiß, dass ich diese Arbeit nicht für einen luftleeren Raum mache.

Des weiteren befasse ich mich maximal drei Tage in Folge mit Recherche; danach mache ich Pause, spreche mit feministischen Freund*innen, lese schöne Literatur, gucke Filme oder spiele Videospiele. Und ich spreche mit Menschen, die sich ebenfalls mit dem Thema befassen, oder twittere über das, was ich gelesen habe, oder verfasse einen Artikel. Diese Form der intellektuellen Sublimierung hilft mir sehr gut. 

Von den Postings, die von Selbsthass, Suizidalität und Depressionen handeln, lässt es sich für mich als Person, die selbst mit Depressionen diagnostiziert ist, und ein paar ziemlich dunkle Phasen in ihrem Leben hatte, schwerer distanzieren, da sie mich doch tiefer treffen. Ich weiß, wie es ist, sich selbst zu hassen oder das Leben nehmen zu wollen; diese Postings triggern oft mehr als das Schreiben über sexuelle Gewalt. Stellenweise machen mich diese Beiträge auch wütend: es ist Ausdruck einer verdammt privilegierten Position, mit Suizid zu kokettieren, weil man keinen Sex hat. In Moira wollen sich Kinder das Leben nehmen, weil ihre Situation tatsächlich so ausweglos und tragisch ist, und die betrachten es als größtmögliche Tragik, dass sie keine 15 Jahre alte Sexsklavin haben? 

Und wenn wir gerade über minderjährige Sexsklavinnen sprechen: Pädosexuelle Inhalte sind der Moment, an dem ich an meine Grenzen stoße. Ein Vertreter der Incel-Community, Nathan Larson, artikuliert ziemlich graphische Vergewaltigungs- und Vernichtungsfantasien gegenüber stellenweise sogar erst drei Jahre alten Mädchen. Als ich in seinem glücklicherweise inzwischen geschlossenen Forum »Raping Girls is Fun« (!!) recherchiert habe, hatte ich tatsächlich Albträume danach. Ich habe immensen Respekt für Kriminalbeamt*innen, die sich beruflich mit pädosexueller Gewalt befassen. 

Neben Incels: was sind deine weiteren Schwerpunkte und was ist dabei die große Klammer deiner wissenschaftlichen Interessengebiete?

Ich habe zwei Themenfelder, die ich schwerpunktmäßig beackere: einerseits Kultur – Filme, bildende Kunst, Literatur – andererseits Politik; da vor allem Rechtsextremismus, Antifeminismus und Antisemitismus. Als Anhängerin der kritischen Theorie finde ich, dass sich das mitnichten ausschließen muss, da man zu einer umfassenden Analyse der herrschenden Verhältnisse interdisziplinär agieren muss. Kultur ist ja auch immer Ausdruck der herrschenden Umstände; der Umgang mit denselben wird ja im Kulturschaffen sublimiert. Diese Reaktion auf die Verhältnisse kann sich subversiv oder affirmierend gerieren. In meiner Arbeit artikulieren sich solche Fragestellungen dann konkret zum Beispiel in einem Vortrag über postapokalyptische Filme als männliches Narrativ, oder in einem Vortrag über Dadaismus, die Situationistische Internationale und Punk – es gibt nichts, was nicht in irgendeiner Form politisch ist (leider). Ich betrachte die Dinge aus einer materialistisch-feministischen Perspektive, die ich als »große Klammer« bezeichnen würde. Davon ausgehend versuche ich, eigentlich alles zu kritisieren, was mir über den Weg läuft. 

Du machst dich als öffentlich Person ja auch extrem angreifbar. Was hast du dabei für Erfahrungen gemacht?

Uff. Da war einmal ein Angriff der inzwischen zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versinkenden, postlinken Splitterzeitschrift Zeitschrift »Bahamas«, der eigentlich kaum etwas anderes war als eine Aneinanderreihung antifeministischen Gewäschs von Männern, die ein Problem damit hatten, dass ich ihren Antifeminismus kritisierte. Dies führte dann auch dazu, dass ich eine Zeitlang Feindbild Nummer 1 dieser sich als »Ideologiekritiker« labelnden Frauenfeinde wurde. Einer von denen stalkt und attackiert mich auch zwei Jahre nach dieser ganzen Angelegenheit regelmäßig, so dass ich inzwischen gezwungen war, meine Anwältin zu konsultieren – sein Hass auf mich gleicht einer Obsession. 

Dann war da letztes Jahr ein Nazi-Shitstorm, der von der Identitäre Bewegung koordiniert worden war. Ich hatte nach dem Angriff auf einen AfD-Politiker artikuliert, dass ich antifaschistische Gewalt für eine (wenn auch tragische) Notwendigkeit halte, und wurde nach einem Aufruf von dem IB-Kader Martin Sellner über mehrere Tage hinweg brutal online attackiert – Vergewaltigungs- und Morddrohungen inklusive. Prominente Vertreter der radikalen Rechten riefen dazu auf, einen Vortrag von mir zu stören, was dank der Unterstützung der lokalen Antifa zum Glück in die Hose ging. Ich hatte eine Zeitlang nichtsdestotrotz große Angst, in bestimmten Gegenden alleine Bahn zu fahren, und hatte über Wochen hinweg psychische Schäden. 

Dann kommen noch kleinere Sachen: wenn ich über Antisemitismus in Burschenschaften spreche, kommen regelmäßig Korporierte, um zu stören. Oder, da ich mich mit Rechtsextremismus auf Imageboards wie »4chan« oder dessen deutschen Ableger »Kohlchan« befasse, wird dort auch gegen mich gehetzt, was sich zum Beispiel darin artikuliert, dass die User (eine Mischung aus Incels und Neonazis) öffentliche Inhalte von mir, wie YouTube-Videos, mit misogynen Kommentaren vollspammen.

Als Frau, die sich gegen die patriarchalen Vorstellungen von Frausein – die Schnauze halten und bloß nicht männliche Herrschaft hinterfragen – stellt und diese öffentlich attackiert, stellt man immer eine Bedrohung für die Exekuteure dieses Systems dar. Für misogyne Männer ist die bloße Existenz einer Feministin ein derartiger Affront und eine Kränkung, dass sie zum Schweigen gebracht werden muss. Dieser Hass auf diese Frau, und diese Angst vor allem, was sie repräsentiert, nämlich: eine Welt, in der man die eigene mickerige Existenz nicht mehr über die Unterdrückung von Frauen oder queeren Menschen aufwerten kann, artikuliert sich letztendlich in frauenfeindlicher Gewalt. Einerseits, um der Frau das Weiterarbeiten im besten Falle zu verunmöglichen, andererseits als Warnung an andere Frauen: »Wenn Du nicht dein Maul hältst, werden wir dir ebenfalls das Leben zur Hölle machen.« Das betrifft nicht nur mich, sondern jede Frau, die sich wehrt. Deswegen ist es so wichtig, dass möglichst viele Frauen sich öffentlich artikulieren, organisieren und zusammen solidarisch kämpfen – je mehr wir sind, desto weniger kriegen sie uns klein.

Gleichzeitig bist als öffentliche Person auch aktuell sehr gefragt. Die breitere Öffentlichkeit hat dich zum ersten Mal mit deinen Analysen zum Anschlag in Halle wahrgenommen: Hier stand ja vor allem der Antisemitismus im Vordergrund und weniger Frauenhass. Du hast das Video des Attentäters analysiert: Wie verhält sich seine Tat zu Anschlägen von Incels?

Ich sagte anlässlich von Halle zu einem Kollegen, der sich mit rechtsextremen Strukturen in der Gaming-Szene befasst, und bei dem das Telefon auch nicht mehr still stand, in etwa: »Das ist so bitter. Es müssen zuerst zwei Menschen ermordet werden, und der größte antisemitische Anschlag der Nachkriegszeit an einer Synagogentür scheitern, damit die Öffentlichkeit darauf hört, was wir zu sagen haben.« Dass man dann gefragt wird, hat also durchaus ein sehr unangenehmes »Gschmäckle«. 

Der Anschlag von Halle war definitiv ein antisemitischer Anschlag, aber der Täter hielt sich in den ebenfalls von Incels frequentierten »chan-Boards« auf: Imageboards, in denen eine Kultur(losigkeit) von Zynismus, Abwertung anderer, und »moralischer Grenzüberschreitung« geprägt wird – also immer wieder extreme gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit artikuliert, aber diese als ironischer Witz verkauft wird. Ich würde Incels in den gleichen Typus Täter kategorisieren wie den Attentäter von Halle, oder andere in chan-Boards verortete Rechtsterroristen wie die Täter des antisemitischen Anschlags in Poway, Kalifornien, oder des rassistischen Anschlags von El Paso, Texas. Das sind Täter, die sich in ihrer (weißen, männlichen) Hegemonie angegriffen fühlen; und dieser Angriff stellt eine narzisstische Kränkung jener Hoheitsposition dar, von der sie glauben, sie stünde ihnen zu. Sie wollen eine Welt, in der sie wieder eine unangefochtene Herrscherposition innehaben, zurück. Der Terrorakt ist die Wiedergutmachung der narzisstischen Kränkung, eben kein Herrscher, sondern nur ein kleines Rädchen im Getriebe des Spätkapitalismus zu sein. Durch den Mord an anderen können sie sich an der Kränkung, eben nur ein Wurm im Kompost der Verhältnisse zu sein, rächen, und sich zum Soldaten für eine größere Sache, nämlich einem Krieg um die weiße oder patriarchale (i.d.R. beides) Vorherrschaft aufschwingen. Der Terrorakt ist eine Form der Mannwerdung, und der männlichste Mann ist nun einmal der Soldat. Ein Meme, das die Terroristen von Christchurch, Poway und El Paso als »Chads«, also als hypermaskuline und virile Supertypen darstellt, unterstreicht meine These. Auch der Incel-Superstar Elliot Rodger schrieb in seinem Manifest detailliert darüber, dass sein Mord an Kommilton*innen ihn endlich zum Mann machen würde. Es ist übrigens auch nicht verwunderlich, dass alle diese Terroristen sich immer wieder auf Anders Breivik beziehen, der mit seiner Tat dieser Idee des »DIY-Täters« den Weg geebnet hat. Der Attentäter von Halle wird auf Memes übrigens als Incel und jungfräulicher Versager dargestellt – weil ihm die Mannwerdung durch den Terrorakt eben nicht gelungen ist.