Nachricht | Moderne am Main 1919-1933, Stuttgart 2019

Beispiele für umfassendes reformerisches Programm

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Das «Projekt» Neues Frankfurt ist vor allem für das beispielhafte Städte- und Wohnungsbauprogramm bekannt. Wohnen sollte Organisation sein, ja musste dies angesichts der Wohnungsnot sein. Eine Ausstellung zeigte nun, dass sich am Main von 1919 bis 1933 ein weitergehender, wenn nicht universaler Anspruch auch in anderen Feldern zeigte: Im Produkt-, Mode-, Interieur-, Industrie- und Kommunikationsdesign sowie in den angewandten und freien Künsten. Vor dem Hintergrund einer forcierten Industrialisierung ging es darum, die neue, sich erst in dieser Form herausbildende urbane Gesellschaft in reformerischer Absicht zu gestalten.

Der bereits im Januar erschienene Begleitband zur gleichnamigen, mittlerweile geschlossenen Sonderausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt/Main ist schön gestaltet und mehr als ansprechend illustriert. Er zeigt von Stadtmöbeln über Typografie, oder die nur 6,5 Quadratmeter umfassende und fest eingebaute Frankfurter Küche und die Grundrisse von Wohnungen die gesamte Bandbreite des auch in anderen Städten, wie etwa in Magdeburg (wo dieses Frühjahr eine ähnliche Ausstellung zu sehen war: Reformstadt der Moderne. Magdeburg in den Zwanzigern) verfolgten Ansatzes. Viele Protagonist_innen und Produkte werden vorgestellt. Es zeigt sich: Klarheit und ebenso Standardisierung sollten eine neue, progressiv verstandene Rationalität mit zum Ziel haben, die mit neuen Formen alle Bereiche des urbanen, menschlichen Lebens zu erfassen suchte. Politisch wurde dieser Gedanke in der Messestadt, wie auch anderswo, von der Sozialdemokratie und linksliberalen Kräften getragen.

Das Buch berichtet aber auch über gescheiterte Vorhaben, so blieb eine an das «bauhaus» angelehnte «Kunstschule» unverwirklicht. Spannend ist ferner der Beitrag, in dem die Geschichte des Museums selbst erzählt wird, das bereits 1879 als Kunstgewerbemuseum samt angeschlossener, kunsthandwerklicher Ausbildungsabteilung eröffnet wurde und 1920 in städtische Trägerschaft übergeht.

Die Lektüre macht bewusst, und dafür muss gar nicht in Nostalgie verfallen werden, wie weit die gesellschaftlichen Zustände heute von dem damals verfolgten Programm entfernt sind.

Klaus Klemp, Annika Sellmann, Matthias Wagner K, Grit Weber: Moderne am Main 1919-1933; Verlag avedition, Stuttgart 2019, 350 Abbildungen, ISBN 978-3-89986-303-1, 304 Seiten, 39 EUR